Arche Leutenthal

Der Sammler und Naturfreund Oswald Malarski

Arche Leutenthal

Arche Leutenthal. Feature von Stefan Kanis. Mit: Frauke Poolman und Matthias Matschke. Redaktion: Kathrin Aehnlich. Schnitt: Christian Grund. Ton: Holger König. Regie: Stefan Kanis. MDR 2011 (29’42 | Ursendung: 3.12.2011)

Oswald Malarski hat schon immer gesammelt. Schmetterlinge und Pflanzen, Belebtes und Unbelebtes, Natürliches und Ziseliertes. Die Sammlung vergrößert sich nahezu täglich. Aus der verfallenen Kirchenscheune wird ein Balken ausgemustert, in dem zufällig eine alte Bleikugel steckt, vermutlich napoleonisch. Nebst feinbeschriftetem Begleitzettel liegt sie nun neben einem Rasierklingenschärfer von 1910. „Ist das nicht verrückt“, sagt Herr Malarski. Oskar Malarski bewertet seine Fundstücke nicht, er sammelt sie einfach. Seine Scheune ist eine Arche, in der alle Dinge gleichberechtigt ihren Platz finden dürfen. Was wird in der Arche Leutenthal unsere Zeit überdauern? Was wird wichtig sein in 100 oder 1000 Jahren? Weiterlesen

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Hinter den Ohren schreiben

Notiz zu: „Nackter Wahnsinn – Was ihr wollt“ am Centraltheater Leipzig

Dieser Abend gewinnt seine Kraft (wieder einmal) aus dem existentiellen Einsatz zweier Schauspieler – Maximilian Brauer und Cordelia Wege. Es braucht bis dahin drei Stunden, die es nicht braucht – und doch wieder braucht. Wenn Brauer sich im Schweiße seines nackten Antlitzes/Körpers mit dem Regisseur dieses Theaters auf dem Theater (Manuel Harder), der hier nun endlich Gott sein darf, einen letzten Kampf liefert, dann ist dies wahrlich ein phänomenaler Disput über die Zurechnungsfähigkeit der Kunst & der in ihr Lebenden.

Den Vertrag zwischen sich und seiner Rolle will er aufkündigen; Brauer führt dieses Drama als leibhaftiger Jesus auf, frisst Scheiße, die er zu Gold machen will/soll. Dann assistiert ihm Cordelia Wege als Natascha Kampusch, auch sie mag kein Opfer sein, auch ihre Rolle will sie sich selber suchen. Der Teufel (Hagen Oechel) segnet ihren Aufbruch in die Gottlosigkeit des Selbst mit – natürlich Litern Theaterblut. Weiterlesen

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Guter Mensch im schweren Wasser

Notiz zu „Der gute Mensch von Sezuan“ am Centraltheater Leipzig

Kathrin Angerers Shen Te löst ein, was man sich erhofft. Sie steuert die Exaltation des Gutmenschentums zwischen Auflösung und Karikatur der Figur in unmerklicher Mitte. Der Vetter Shui Ta: Was das Kostümbild hier vermag. Ein Dreikäsehoch, der sich an einer Chaplinade versucht. Dieser Shui Ta ist noch zerbrechlicher als seine von den Wassern der Seele bewegte Cousine. Um so mehr überträgt sich die Verzweiflung ins Parkett, wenn Angerer darum kämpft, sich aus dieser schmalhüftigen Figur in Kraft zu setzen. Weiterlesen

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Frauenzuchthaus Hoheneck

Demütigung, Willkür,  Verrat

Treppenhaus Hoheneck (Ausschnitt)

Ausschnitt aus „Frauenzuchthaus Hoheneck“

Frauenzuchthaus Hoheneck. Feature von Gabriele Stötzer. Im Originalton: Inge Naumann, Sylvia Heinrich, Anita Goßler, Rüdiger Sachs und Andreas Stötzer.
Mit Bärbel Röhl und Marina Frenk. Redaktion: Kathrin Aehnlich. Ton: André Lüer. Regie: Stefan Kanis. MDR 2011 (59’15 / Ursendung: 28.09.2011)

Seit 1862 in Hoheneck das „Königlich-Sächsische Weiberzuchthaus“ errichtet wurde, wechselten die Gefangenen ihr Geschlecht und die Hausherren ihre Ideologie. Nach Gründung der DDR wurde die Haftanstalt wieder zum Frauengefängnis, in dem sich Mörderinnen und politische Gefangene eine Zelle teilen mussten. Für eine „Einweisung“ nach Hoheneck genügte oft schon eine schriftlich formulierte Kritik an der DDR-Politik. Die Politischen wurden unter den Kriminellen verteilt und unterstanden dem Kommando der Schwerverbrecherinnen. Ende der 1970er Jahre wurde das Gefängnis zur „Drehscheibe für Häftlingsfreikäufe. Die Vollzugsanstalt war eigentlich für 230 Haftplätze festgelegt, die wirklichen Belegungen schwankten zwischen 400 und 2000 Gefangenen. Im Jahr 2001 wurde die Haftanstalt geschlossen. Die Pläne eines privaten Investors, das Gefängnis als Erlebnishotel zu nutzen, wurden bisher von den Opferverbänden verhindert. Die Schriftstellerin Gabriele Stötzer, wurde 1977 im Alter von 23 Jahren wegen Staatsverleumdung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, von dem sie 7 Monate in Hoheneck verbrachte. Einen Freikauf in die Bundesrepublik lehnte sie ab.

http://www.mdr.de/mdr-figaro/hoerspiel/feature/hoheneck108.html

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Ritterspiel vor Drohkulisse

„Merlin oder Das wüste Land“ von Tankred Dorst („Schaustelle Halle“ und „Ebeling & Koll.“)

Johannes Gabriel als Mordred (Foto: René Schäffer)Wir siegen, flüstert König Artus. Ein letztes Mal hat ihm sein Zauberer Merlin die Zukunft offenbart. Ja, wir werden siegen. Und wieder merkt Artus nicht, dass diese Wahrheit keine Zukunft hat. Gestern nicht und heute. Ein letzter Ton auf der E-Gitarre und das Licht verlischt. Nur hoch oben am Ruhmeskranz des Völkerschlachtdenkmals strahlen vier böse Ritter eisig über Leipzig und die kleinen Fahrensleute. Die steinernen Recken werden niemals etwas lernen. Mindestens dies schafft das Spiel der Komödianten: Die pompöse Kulisse enttarnt sich wie nebenbei als groteske Schauerlichkeit des Militarismus. Weiterlesen

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Buffos des Blutes

Notiz zu „The Wolf Boys“ – Norton.Commander.Productions

Auch das Grauen realisiert sich in geordneten Verhältnissen. Hinten in der Mitte steht das Blutgerüst, vorn markieren zwei Musiker in schöner Symmetrie das Portal der Schlachtplatzes. Die Performer Wulferts & Wagner gehen als Boten aus dem Reich des Blutrauschs der Zentralperspektive ins Netz. Eben noch arrangieren sie sich zu Gottfried Benns „Schöner Jugend“ – die Geschichte mit dem Mädchen im Schilf und den Ratten im Bauch – auf dem Gerüst, dann heißt es wieder Absteigen und an der Rampe zwischen den Tonabnehmern eine nächste „Aktion“ martialisch zu markieren. Mit Eigenblutdoping und einer sexualisierten Organ-Spenden-Orgel finden sich bildnerisch eindrucksvolle Operationen; das meiste jedoch bleibt an der energetisch-optischen Mittellinie hängen und füllt fast betulich das schwarze Poesiealbum des Abends.
Der (vorgebliche) Schlaf der Vernunft gebiert hier keine Ungeheuer, sondern einen Budenzauber, der tönt und klönt. Die Raffinesse der Details bleibt auf halbem Wege sich selbst überlassen. Harriet und Peter Meinings Inszenierung zitiert die Geste eines Jahrmarktbuffos, der bessere Tage gesehen hat. Und nicht so recht weiß, warum nicht eine Nummer einfach auf die nächste folgen soll.

www.nc-productions.com

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Ich war ein Kind von Tschernobyl

Erinnerung an eine Katastrophe

Olga Kapustina und Mama

Ich war ein Kind von Tschernobyl

Ich war ein Kind von Tschernobyl. Feature von Olga Kapustina. Mit Marina Frenk und Uve Teschner. Regie: Stefan Kanis. Redaktion Kathrin Ähnlich. Schnitt: Hans-Peter Ruhnert. Ton: Andre Lüer. MDR 2011 (29’38 / Ursendung: 23.04.2011)

Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl im Mai 1986 waren im angrenzenden Weißrussland  etwa 5000 Orte verstrahlt. Darunter auch Tschausy, die Heimatstadt von Olga Kapustina. Sie war damals gerade ein Jahr alt und die Folgen der Katastrophe gehörten zu ihrem Alltag. „Wir, Kinder von Tschernobyl, waren eigentlich ganz glücklich. In der Schule bekamen wir drei Mal am Tag kostenloses Essen. Zum Neujahr kamen Pakete mit Süßigkeiten aus dem Westen. Einen Monat im Jahr verbrachten wir im Sanatorium in einem sauberen Ort in Weißrussland.“ Weiterlesen

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Gott wohnt im Café Westen

Solveig van der Hoffmann lädt in die Werkstatt für Grundsatzfragen. Ein Ortstermin.

Wenn es Fragen gibt, sagt Solveig, bin ich für euch da. Sie steht im Foyer des LOFFT und zeigt auf ihre weiße Mütze. Daran erkennen wir sie im Getümmel. Auch wenn Sie nicht „Getümmel“ sagt,  schwant einem doch, es könnte dicke kommen. Ich nicke, alle anderen auch. Schließlich stehen die Uhren auf Performance, und an uns soll es nicht liegen. Doch Grundsätzliches verträgt nur sechs Augen. Das Getümmel, der Wodka und die großen Fragen müssen warten. Der Haufen wird aufgeteilt. In neun Grüppchen zu je drei Menschen. Solveig macht ein bisschen Hokuspokus um die Lieblingsfarbe, ich wähle einen blauen Laufplan. Und schon gehöre ich zu Esther und Friederike. Und was machst du so? Die jüngere mit der schicken Brille macht was fürs Radio und Esther hat ihre Freundinnen irgendwo zwischen pink und lila eingebüsst. Ich gebe mir Mühe, ihnen nicht auf die Nerven zu gehen. Wie guten Freunde eben. Weiterlesen

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Wartburg auf der Überholspur

Thilo Refferts «Die Sicherheit einer geschlossenen Fahrgastzelle» hat bei den Karlsruher Hörspieltagen bei Jury und Publikum gewonnen – VON ANDREAS HÜTTNER

Bei Film-, Fernseh- oder Theaterfestivals wäre es nicht denkbar, dass in vier von fünf Jahrgängen Jury- und Publikumspreis an die gleiche Produktion fallen. Bei den ARD-Hör­spieltagen in Karlsruhe geht das. Jetzt ereilte die doppelte Ehre Thilo Refferts O-Ton-Hörspiel «Die Sicherheit einer geschlossenen Fahrgast­zelle» (Produktion: MDR, Regie: Stefan Kanis). Und auch wenn ein Hörspielfestival möglicherweise so speziell ist, dass die Mühe einer Pub­likumsabstimmung im Internet nur jene Hörer auf sich nehmen, die dem Genre ähnlich eng verbunden sind wie die Fachleute – verdient war der Doppelerfolg allemal. Weiterlesen

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Zucker

Das süße Gift

Zucker. Das süße Gift

Zucker – Das süße Gift
Feature von Michael Schulte. Mit Chris Pichler und Torsten Ranft. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: Ulf Köhler. MDR 2010. (24’13 / Ursendung: 11.12.2010)

Einst war Zucker der Süßstoff der Reichen, sündhaft teuer und aus entlegenen Weltregionen importiert. Mit der Gewinnung von Zucker aus der Zuckerrübe wurde er hingegen zum Volksnahrungsmittel. Mittlerweile hat Zucker eher den Ruf gesundheitsschädlich zu sein. Das Essay von Michael Schulte betrachtet die faszinierende Geschichte der weißen Leckerei. Weiterlesen

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Nimba – Das Gesetz des Dschungels

„Tiere als Täter“ – Teil 7

Nimba – Das Gesetz des Dschungels

Nimba – Das Gesetz des Dschungels. Hörspiel von Anne Mücke und Frank Bruder. Mit Abak Safei-Rad, Janine Kreß, Rosalind Baffoe, Martin Olbertz und Axel Thielmann. Regie: Stefan Kanis. MDR JUMP 2010. (46’50)

Februar 2006. Die beiden Anthropologinnen Dr. Lynn Smith und Susan Mc Donald, beide von der amerikanischen Stanford University, erforschen das Sozialverhalten der Schimpansen der „Sonso-Sippe“ in den Tiefen des ugandischen Budongo-Urwaldes. Susan ist bereits seit 4 Jahren hier, Lynn erst seit einigen Wochen. Und genau so lange gibt es Spannungen – sowohl unter den beiden Wissenschaftlerinnen, als auch unter den Affen (unter denen rumort es allerdings schon länger). Lynn und Susan geraten häufig in Streit, weil sie zum einen sehr verschiedene Charaktere sind. Zum anderen sieht sich die praxisnahe und erfahrene Feldforscherin Susan von der jung-dynamischen Akademikerin Lynn bedroht. Zumal Lynn genau dort Stärken hat, wo Susans Schwächen liegen: im wissenschaftlichen Veröffentlichen. Die Stanford University fordert von Susan seit langem, einen Artikel über „ihre“ Sonso-Sippe in einer renommierten Fachzeitschrift zu veröffentlichen. Lynn soll Susan helfen, diesen endlich zu schreiben. Mitten zwischen den Fronten stehen der afrikanische Ranger Lutamyo, und seine Frau Anet – beide sind Helfer im Camp.

 

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Wer immer strebend sich bemüht…

Das Lofft lädt zur Geisterfahrt mit Britney Spears

Ein guter Intellektueller hat noch nie Britneys Musik gehört, aber natürlich im Feuilleton über sie gelesen. Und was sagt „Faust“ den bildungsfernen Schichten? Zumindest der Name ist bekannt. Wahre Prominenz strahlt in die verschiedensten Milieus. Der Gott des einen taugt dem andern mindestens als Reizwort.

Über diese verdeckte Naht fährt der Finger der Inszenierung und prüft, wo das heiße Höschen der Popdiva mit dem Talar des Gelehrten sich unbewusst verschwägert. Der Abend ist eine große Materialschau, aus der das Publikum sein lehrreiches Vergnügen zieht. Weiterlesen

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Glücklich ohne Funktionsbekleidung

Die Performer von „Handa Gote“ verbergen sich hinter der Patina des Privaten

Ekran / Foto: ProduktionDie Heizung bläst laue Luft in die Zeitmaschine. Noch haben die Prager Künstler ihre Patience mit dem Gestern nicht begonnen, da atmet das Interieur des UT Connewitz schon sein gemächliches ‚Ach’. Wahrlich eine Unternehmung am rechten Ort. Der Eröffnungsabend der diesjährigen Ausgabe des Off-Europas-Festivals legt es mit „Ekran“ darauf an, alles, was an Modernität, Eile und Präzision über die Menschen gekommen ist, auszutilgen. Weiterlesen

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Ich mag kein lackiertes Theater

Knut Geißler kennt die osteuropäischen Theater-Provinzen wie kaum ein Anderer. Der Leipziger kuratiert seit 18 Jahren das Festival „Off Europa“. In der kommenden Woche läuft in Leipzig und Dresden seine aktuelle Werkschau: in diesem Jahr mit Theater aus Tschechien.

 

 

Frage: Vor 20 Jahren ist die DDR dem Westen beigetreten. Fast ebenso lang gibt es bereits „0ff Europa“? Was hat sich seither bewegt? Ist uns Ost-Europa nur anders fern als damals?
Ich glaube nicht, dass sich Deutschland wirklich bewegt hat. Osteuropa ist durch die Wende ja aufgesprengt worden. Das war sehr wohl eine Bewegung. Seit dem EU-Beitritt holen manche Länder stark auf, aber umso weiter südlich man kommt, desto fragiler wird das. Ich bemühe mich, genau hinzuschauen und mir die Frage zu beantworten: Wie generiert man Interesse für dieses andere? Im letzten Jahr, bei Bosnien, war es wichtig eine detaillierte Programmzeitung mit ein bisschen politischer Landeskunde zu machen. Das wurde gern gelesen. Im Falle des Nachbarlandes wie Tschechien wäre das anmaßend. Solche Sachen muss man bedenken. Weiterlesen

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Aller guten Dinge sind drei?

Ein Abend über den Dichter Schernikau bemüht sich im LOFFT um Ordnung

„Alles was verstanden werden soll, wird dreimal gesagt.“ Der Vorhang fällt, die drei aufrechten Schernikaus sind durch. Der Dichter liegt hinter ihnen. Die Erleichterung ist ihnen anzusehen. Drei Seiten hat in der Produktion von „Portfolio Inc.“ jeder Gedanke – denn Ronald M. Schernikau war Kommunist, Literat und Schwuler –  und ließ sich als letzter Bundesbürger, im September 1989, in die DDR einbürgern. Weiterlesen

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Die Last der Performance

Sebastian Hartmann verstößt sein Ensemble aus der Unschuld des Kollektivs

Hamlet ersticht den guten Polonius durch die Tapete: Eine markante Aktion, für die er seine Gründe hat. Gute Gründe, die sich Schauspieler und Regie auf den Proben erarbeitet haben sollten. Nichts anderes war Theater über viele Jahrhunderte. Eine andauernde Abfolge von motivierender Situation und sekundärer Aktion. Wenn Regisseur und Spieler es zulassen, entsteht aus diesem Karussell des Reagierens nach und nach das, was gern Handlung genannt wird. Mit jeder absolvierten Situation steigt das Vorwissen des Publikums: Was noch kommt, wird verständlich vor dem Hintergrund dessen, was schon war. Theater als Exerzitien am Körper der klassischen Semiotik.

Dieses Verstehen setzt eine stillschweigende Übereinkunft voraus. Eine Übereinkunft zwischen Bühne und Parkett über das, was als angemessene oder doch zumindest verstehbare Reaktion der Schauspieler auf eine Bühnensituation gilt. Das Ergebnis solcher Übereinkunft ist ein kumulativer Realismus. Weiterlesen

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Der Tod der Nacht

Die Schattenseite des künstlichen Lichts

Der Tod der Nacht

Der Tod der Nacht
Feature von Sabine Frank. Mit Rosemarie Fendel. Regie: Stefan Kanis. MDR 2010 (29’30 / Ursendung: 31.07.2010)

Durch unseren exzessiven Gebrauch des elektrischen Lichtes sehen wir bereits heute in Nordeuropa nur noch etwa 10 % Prozent der tatsächlich am Himmel leuchtenden Sterne. Nun könnte man meinen, diese so genannte Lichtverschmutzung stellt allenfalls für Romantiker eine unbefriedigende Situation dar, doch das verkennt die Reichweite des Problems. Der Mensch, zum Beispiel, benötigt für einen erholsamen Schlaf das Hormon Melatonin, das wiederum wird aber nur bei ausreichender Dunkelheit produziert. Auch die lichtempfindliche Tier- und Pflanzenwelt gerät völlig aus dem Takt: Insekten, die Grundlage der Nahrungskette, verenden zu Millionen in den Leuchtkörpern, Zugvögel sind in ihrer Navigation beeinträchtigt, Pflanzen verlieren ihren Photosynthese-Rhythmus. Und nicht zuletzt behindert der „Tod der Nacht“ die Arbeit der Astronomen, die physikalische Grundlagenforschung betreiben und darüber hinaus unser Wissen vom Kosmos, unser Selbstverständnis als Mensch im Universum befördern. (O-Ton) Günther Wuchterl (Astrophysiker) / (O-Ton) Dr. Franz Hölker (Projektleiter vom Forschungsverbund „Verlust der Nacht“ / (O-Ton) Prof. Dr. Dieter Kunz (Leiter der Arbeitsgruppe Chronobiologie an der Berliner Charité) / (O-Ton) Peter Heidrich (von den Leipziger Grünen).

www.mdr.de/mdr-figaro/hoerspiel/7523387.html

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Welttheater auf dem Hinterhof

„Wie es euch gefällt“ – Ein Shakespeareworkshop auf der Sommerbühne des Westwerks.

Ein gutes Programmheft ist schon mal die halbe Miete. Da gibt es für das „Theater Eumeniden“ auch gleich Bonuspunkte. Szenenfolge, Kostümzeichnungen und Schlagwortübersetzung aus dem Englischen. Was leider fehlt, ist eine der berühmten Fragen an Reich-Ranicki: „Kann ich mich noch unter Menschen trauen, wenn ich die Shakespeare-Komödien nicht auseinanderhalten kann?“ Berechtigt ist die Frage allemal. Schließlich ist es nicht leicht, sich zu merken, dass die verstoßene Prinzessin in „Wie es euch gefällt“, diese Rosalinde, sich von Oberon in einen Schäfer verzaubern lässt, um endlich die Liebe ihrer vertauschten Zwillingsschwester Viola im Wald von Athen zu erringen. Oder war das doch anders? Weiterlesen

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Poesie für Realisten

Der Sommerspielplan des Westwerks punktet mit Mascha-Kaléko-Abend

Die Karl-Heine-Straße, gegen halb zehn abends. Vorm „Noch besser Leben“ sitzt die Jugend auf der Straße. Ein älterer Knabe spricht übers Bier hinweg einer spröden Schönheit ins Gesicht. Er finde Goethe trocken. Seine Miene ist bedeutungsvoll – die Schöne nickt. Sie mag den Knaben wirklich gern, also stimmt sie ihm zu, obwohl sie „Wanderers Nachtlied“ für gelungen hält. Denn auch der beste Sommer zählt nur ein paar wirklich gute Augenblicke – und die gilt es zu nutzen. Und nun kommt der Kaléko-Moment: Die Schöne kann sich nicht entscheiden, ob sie sich für diese reflexive Präzision tadeln oder loben soll.

Natürlich haben die beiden nicht über Goethe gesprochen. Aber drei Blocks entfernt und zehn Minuten vorher hatte sich Friederike Ziegler gerade ihren Beifall abgeholt. Unter anderem für ein Großstadtszene, in der eine junge Frau ihrem eventuell Zukünftigen sein Goethe-Geschwafel durchgehen lässt. Und danach sieht man die Stadt durch die Kaléko-Brille. Weiterlesen

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Leistung aus Leidenschaft

Da hat die Deutsche Bank einen echten Kracher gelandet. Der Zoni als Wappentier einer Festtagsbroschüre.  Da zeigt die Bank, aus wessen Leidenschaft sie Leistung schlägt: Es gibt immer wen, der rein will.
(Siebter von links:  Ich)

20 Jahre Deutsche Bank in den neuen Bundesländern

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Ernst Bloch in Leipzig oder Der verhinderte grosse Augenblick

Ein Spaziergang mit Jan Robert Bloch.

Feature von Petra Stuber und Jochen K. Schütze. Es sprechen: Die Autoren. Regie: Stafen Kanis. MDR 2010 (24’13 / Ursendung: 04.07.2011)

Der Philosoph Ernst Bloch kehrte 1949 aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurück, weil er den Ruf auf eine Professur für Philosophie an die Universität Leipzig bekam.Mit ihm in den Osten Deutschlands zogen seine Frau Karola und sein Sohn Jan Robert, der damals 12 Jahre alt war. Anders als für seine Eltern, war es für den Sohn keine Rückkehr. In Leipzig begann für ihn ein neues und fremdes Leben, das ihn zu einem scharfen und einsamen Beobachter machte. Mit Jan Robert Bloch und seinen Erinnerungen waren Petra Stuber und Jochen K. Schütze zwei Tage in Leipzig unterwegs und immer wieder tauchte die Frage auf, warum es damals nicht gelang, die Utopie einer besseren Gesellschaft zu verwirklichen.
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Biedermeier an der Elbe

Werben: Die kleinste Hansestadt der Welt.

Biedermeier an der Elbe

Biedermeier an der Elbe
Feature von Gerhard Pötzsch. Mit Klaus Manchen und Arianne Borbach. Regie: Stefan Kanis. MDR 2010 (29’29 / Ursendung: 19.06.2010)

Werben ist nicht nur die kleinste offizielle Hansestadt, sie ist auch die kleinste Stadt Sachsen-Anhalts. Etwa 800 Einwohner leben in der romantisch gelegenen Stadt an der Elbe. Zweimal im Jahr jedoch kommen Besucher aus allen Teilen des Landes nach Werben: Zum Biedermeierfest im Sommer und zur Biedermeierweihnacht. Dann streifen die Einwohner ihre Kostüme über und die gesamte Stadt fällt zurück in die Zeit, in der häusliches Glück und die Tugenden Fleiß, Ehrlichkeit und Treue zu den Lebensgrundsätzen gehörten. Die Treue zu ihrer Stadt beweisen die Werbener immer wieder aufs Neue und setzen sich für die Erhaltung der alten Fachwerkhäuser im mittelalterlichen Stadtkern ein. Sie haben dabei prominente Unterstützung bekommen, denn Friedrich Schorlemmer, einst in Werben aufgewachsen, ist zurückgekehrt. Er hat sich ein Haus gekauft für Urlaube und für den Ruhestand. „Was Werben immer noch hat, ist diese unaufgeregt schöne Landschaft“, sagt er.

http://www.mdr.de/mdr-figaro/hoerspiel/index.html

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Die Wahrheit ist chaotisch

Thomas Pynchons Roman „Die Versteigerung von No. 49“ kommt im Lofft auf die Bühne

Wenn mal wieder wer den „Zauberberg“ aufs Theater bringt, muss man über die Vorlage kein Wort verlieren. Aber wer bitte ist Thomas Pynchon? Ältere Semester schütteln über solche Leerstellen natürlich den Kopf. Als Diplomarbeiten noch auf mechanischen Schreibmaschinen getippt wurden, war Pynchon ein Gott. Ein paar Damen und Herren aus diesen Jahrgängen mischten sich dann auch unters Premierenpublikum im Lofft: Noch einmal dem morbiden Reiz einer alten Liebe frönen und schauen wie sie sich gehalten hat. Weiterlesen

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Der ganze Körper

Die Tanzoffensive beendet eine hochanregende Theaterwoche

Das klassische Ballet hat es nicht leicht. Sein Vokabular stammt aus dem späten 19. Jahrhundert; gut möglich, dass die Nutzung seiner Sprache, wie etwa beim Esperanto, mangels Interesse erlischt und sie den Weg in die Museen antritt. Außerdem ist der Schönheitsbegriff ein Luder, er geht mit der Zeit. Etwas Erhabenes kann hundert Jahre später, einfach reproduziert, sehr leicht komisch wirken. Umso mehr, wenn es ihm an Selbstreflexion mangelt. Weiterlesen

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Viele Zeichen, wenig Wunder

Die „Tanzoffensive“ im Lofft müht sich mit drei Auftragsproduktionen

Handelte es sich bei „Willkommen zu Hause“ um einen kulinarischen und keinen Theaterabend, wäre die Malaise mit einem Vergleich gut beschrieben: Zerlegt man eine Pizza in drei Teile, bleibt es immer noch eine Pizza. Aber was sind drei Sorten Shrimps auf einem Teller? Wohl kein Gericht, sondern eher eine Verkostung.

Nichts anderes hat das Lofft mit seinem Überraschungspaket vor. Ein Menü, bei dem der Zufall den Chefkoch abgibt. Das hat funktioniert. Dabei ist allerdings nichts über die Zutaten gesagt – um die Küchenvergleiche vorerst zu beenden. Weiterlesen

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Das Herz tanzt

Die Auftaktinszenierungen der „Tanzoffensive“ lassen an Charakter nichts zu wünschen übrig

Im gefalteten Programmzettel des Eröffnungsabends liegt ein Mundschutz. Weiß und unschuldig. Niemand im Publikum wird ihn benutzen, und so findet er sich am Morgen danach, clean, auf den Küchentischen und in den Jackentaschen der Besucher. Noch einmal davongekommen. Eine perfide Versöhnungsgeste der Tänzer, die die Nachwirkung der Show auf die nächsten Tage verlängert.

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Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer

Von Volker Braun

Machwerk oder das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer

Machwerk oder das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer. Von Volker Braun. Gelesen von Dieter Mann. Textfassung und Regie: Stefan Kanis. MDR 2010 (ca. 140 Minuten / Erstsendung ab 03.05.2010)

In einer Gegend, die es hinter sich hat, ist Meister Flick unter die Arbeitslosen geraten. War er einst bei Havarien im Tagebau der Niederlausitz gefragt, wird er jetzt, mit 60, auf dem Amt vorstellig. Bereitwillig übernimmt er jeden Auftrag: Abfallbeseitigung in den Gruben, Museumswärter und sonstige 1-Euro-Jobs. Wird er nicht vermittelt, beschäftigt er sich selbst und nimmt einem Bautrupp die Schaufeln ab, setzt bestreikte Werkhallen in Gang oder hilft einer Frau beim Sterben. Wurde Flick früher zu Unfällen gerufen, führt er selbst jetzt die Katastrophen herbei. Trotz bester Absicht füllt sich sein Schichtbuch mit seltsamen Einsätzen: Die Arbeitswelt, in der er seinen Platz sucht, gibt es nicht mehr. Begleitet wird er von Luten, seinem Enkel und Gegenpart, der die Arbeit nicht gerade erfunden hat.Flick von Lauchhammer rennt in 48 Schwänken gegen die globalen Windräder an: ein komisch-philosophisches Schelmenstück in der Welt der „Arbeit nach der Arbeit“, eine moderne Donquichotterie. Weiterlesen
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Shot: Leipzig, April 1945

Über die Bildreportagen von Margaret Bourke-White, Robert Capa und Lee Miller.

Shot: Leipzig, April 1945

Feature von Jan Wenzel. Mit Liv-Juliane Barine, Ilka Teichmüller, Albrecht Hirche und Henrik Wöhler. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: Katrin Wenzel.
MDR 2010 (24’19 / Ursendung: 25.04.2010)

Margaret Bourke-White, Robert Capa und Lee Miller zählen zu den bedeutendsten Fotoreportern des zweiten Weltkriegs. In der zweiten Aprilhälfte 1945 kamen alle drei mit den vorrückenden amerikanischen Truppen auch nach Leipzig. Einige der Momentaufnahmen von der Befreiung der Messestadt sind zu Ikonen der Kriegsfotografie geworden. Schon 1945 bestimmten sie das Bild vom Sieg über den Faschismus in der amerikanischen Presse. So erschienen in der Victory-Ausgabe des Newsmagazines LIFE zwei Reportagen mit Bildern aus Leipzig: Margaret Bourke-White hielt die gespenstische Atmosphäre im Rathaus fest, wo der Stadtkämmerer sich und seine Familie selbst umgebracht hatte. Robert Capa dokumentierte in einer bewegenden Serie das Sterben eines jungen US-Korporals, der von deutschen Heckenschützen erschossen wurde – er war der letzte tote Soldat, den Capa im zweite Weltkrieg fotografieren sollte.

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Rabatz im Puppenheim

TheaterPack bringt im LOFFT Christian von Asters „Großmickering“ zur Uraufführung

GroßmickeringDer Titel ist Programm. „Großmickering“. Ein Kaff, ein Nichts, ein Ich-kenne-hier-alle-Ort. Die sympathischste Figur in solchen Landstrichen ist immer noch der Dorftrottel. Den Rest kann man getrost vergessen: Ein Schneider mit Quetschfrisur, ein sangesfreudiger Pfarrer, der Ortsfleischer mit dem einzigen Fernseher und ein extremnuschelnder Bauer: aus diesem Kasten zieht Christian von Aster sein Personal.Nur ein TV-Gerät im Ort? Das heißt, wir befinden uns in den 50er Jahren. Oder aber: Es herrscht Parabelstimmung. Was sich bald als die avisierte Zündschnur zum Publikum erweisen wird. Großmickering erinnert von Ferne, ganz von Ferne, an ein noch mal verkleinertes Dürrenmattsches Güllen. Was Großmickering aber fehlt, ist der Besuch der alten Dame, der Wille zur Bosheit, die ihren Namen nicht scheut. Der Autor liebt dagegen das Ungefähre. Weiterlesen

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Vergesst die Konkurrenz

Das Hildesheimer »Theater 11.August« gastiert im Lofft mit „Abstracts of Men“.

Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann. Wirkliche Tiefe verweist immer nur auf sich selbst. Auch ein großer Theaterabend kann seinen Gegenstand vergessen. Kann ihn vergessen machen, weil er nicht über etwas handelt, sondern durch ihn hindurch spielt. Schöne Theorie für die Produktion »Abstracts of Men«, die auch im Centraltheater gern reklamiert wird – aber: Es verschwindet der Gegenstand nur, in dem man ihn verarbeitet. Und das möglichst intelligent.

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