Sicher habe ich mich abgefunden, ich bin ja am Leben
Ausschnitt aus »Der Gebrauch des Menschen«
Der Gebrauch des Menschen |
von Aleksandar Tišma.
Mit Jördis Trauer, Oscar Hoppe, Birte Schnöink, Werner Wölbern, Franz Hartwig, André Kaczmarcyk, Alexander Khuon, Max Hegewald Komposition Tommy Neuwirth und Mario Weise Ton André Lüer Schnitt Christian Grund Regie Stefan Kanis
Erstsendung MDR KULTUR, 28.04.2025
Inhalt | Auszeichnung
Was hilft es zu überleben, wenn man nicht vergessen kann? Alles scheint im Leben der Halbjüdin Vera Kroner auf diese Frage hinauszulaufen. Ende der 1930er Jahre ist sie ein junges Mädchen in Novi Sad. Sie ist in dieser Stadt, gelegen an einem Donauknie in der Bačka, der Tiefebene zwischen Serbien und Ungarn, aufgewachsen. Nun tönt bereits der Vorkrieg durch die Straßen. Serben, Ungarn und Deutsche machen sich die Lufthoheit streitig. Dazwischen, schon in der Defensive, viele Menschen jüdischen Glaubens. Für Vera eine doppelte Herausforderung: Der Vater ist Jude, die Mutter eine Donauschwäbin. Seit der frühen Kindheit laviert sie durch ein wildes Gemisch von Sprachen und Idiomen, Wünschen und Überlieferungen. Sie erkämpft sich eine fast normale Jugend; geprägt vom spröden Reiz der Tanzstunden, von Küssen in Toreinfahrten und der Verunsicherung ob des sich scheinbar stündlich wandelnden Körpers. Als die deutsche Wehrmacht Jugoslawien 1941 besetzt und Ungarn als Verbündeter die Bačka annektiert, beginnen für sie Jahre der Isolation. Zwar wird das Handelsgeschäft des jüdischen Vaters einem Kommissar unterstellt, aber noch immer gibt es eine Hausangestellte, die den Kindern das Frühstück bringt. Was bleibt ist das Warten auf eine Zukunft, die kaum anderes als den Untergang bereithalten kann. Im Mai 1944 ist es so weit: Deutschland besetzt das abtrünnige Ungarn und die Deportationen beginnen. Veras Familie wird nach Auschwitz verschleppt. Sie selbst überlebt das Lager als Zwangsprostituierte. Ein Jahr später, nach der Befreiung des Lagers, kommt sie nach Novi Sad zurück. Aber was hilft es, zu überleben, wenn man nicht vergessen kann? Sie ist umstellt von der gierigen Lebensfreude der Davongekommenen, die sich mit den Vorboten des titoschen Kommunismus und neuen Repressionen paart. Was soll sie hier? Wo ist ihr Platz? Vera driftet ohne Anker durch die Jahre, ein wenig Halt findet sie allein bei ihrem Jugendfreund Sredoje, der als ehemaliger Partisan ähnlich entwurzelt durch die Nachkriegszeit streift. Als er sie einmal fragt, ob sie sich denn mit all dem Grauen im Lager habe abfinden können, erwidert sie: „Sicher habe ich mich abgefunden, ich bin ja am Leben“.




























