Westend

„Mein Gott, Das waren noch Zeiten, als man im ‚Tipp‘ inserierte!“

Ausschnitt aus »Westend«

Ulrich Matthes in der Rolle des Eduard während der AufnahmenWestend Hörspiel nach dem Theaterstück von Moritz Rinke
Mit Ulrich Matthes, Anja Schneider, Linn Reusse und Felix Goeser Komposition Michael Hinze Ton Holger König Schnitt Christian Grund Hörspielbearbeitung / Regie Stefan Kanis (Erstendung: MDR KULTUR, 14.9.2020)

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Eduard und Michael haben gemeinsam in den 1990er Jahren Medizin studiert, waren dicke Freunde, bis sich ihre Wege trennten. Eduard betäubt heute als Schönheitschirurg die Angst seiner Klientinnen, alt und wertlos zu sein. Michael kommt aus Afghanistan zurück, er arbeitet für eine humanitäre Organisation; was er mitbringt, sind Geschichten von Gewalt und sinnlosem Sterben. Welten prallen aufeinander, als sich Eduard und Michael wiedersehen – nicht nur politisch, sondern auch privat. Denn Eduard hat mittlerweile Charlotte geheiratet, die davor mit Michael zusammen war. Erneut ist Charlotte zwischen den grundverschiedenen Männern hin- und hergerissen, ihr Kampf um Selbstbestimmung müsste einen radikalen Neubeginn einschließen. Kann sie ihn durchsetzen?
Anja Schneider in der Rolle der Charlotte (Foto: MDR/Marco Prosch)
So komfortabel ihr Leben in dem Haus ist, das sie und Eduard sich gerade im Berliner Westen gekauft haben, so unerfüllt und vor allem kinderlos ist es geblieben. Auch ihre Karriere als Sängerin stagniert, das ausstehende Comeback als Solistin in Haydns „Schöpfung“ soll den beruflichen Neustart bringen. Und dann ist da noch Lilly, die junge Nachbarin, ebenfalls Medizinstudentin, in deren unbefangene Direktheit sich wiederum Eduard verliebt.
Auf der Folie von Goethes „Wahlverwandtschaften“ ruft Moritz Rinke – nicht ohne Ironie – noch einmal die Stellungskriege der alten Welt auf. Klassische Rollenbilder, der sichere Hafen emotionaler Verlässlichkeit und ritualisierte Konflikte helfen den Protagonisten durch den Tag. Doch es ist nicht ausgemacht, dass die Welt von gestern nicht unterm Linn Reusse bei Leseproben zur Rolle der Lilly für die Hörspielproduktion "Westend" (Foto: MDR/Parusel)Strich die bessere gewesen sein wird. So steht man im Westend vor einem zitternden Remis: Es gilt, die solide Gegenwart ins Unendliche zu verlängern, da taugt die die erinnerte Jugend nur mehr für Sentimentalitäten – oder um mit Eduard zu sprechen: „Mein Gott, das waren noch Zeiten, als man im ‚Tipp‘ inserierte!“.

 
Moritz Rinke, *1967 in Worpswede, studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Er schrieb Kolumnen und Reportagen, u. a. für die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Zeit“ und „Theater heute“. Für seine Reportagen „Ein Tag mit Marlene“ (1995) und über die Love Parade (1997) erhielt er jeweils den renommierten Axel-Springer-Preis. Mehrere seiner Stücke wurden für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. In der Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute wurde „Republik Vineta“ zum besten deutschsprachigen Stück der Spielzeit 2000/2001 gewählt. 2010 erschien sein Roman „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“. „Westend“ wurde 2018 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt.

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„… Leichthin reden die beiden Hauptpersonen über Schwerwiegendes. Dabei treffen Sprecher und Sprecherin Zwischentöne und Rhythmus von Rinkes Dialogen. Tonangebend ist Ulrich Matthes als Eduard, ein Schwärmer, der professionell wie privat sein Talent zur Retusche kultiviert, wenn er sich über Charlottes Skepsis, über seine eigene Vorgeschichte, Ambivalenzen und Abgründe hinwegmogelt. Der Regisseur Stefan Kanis, der in seiner akustischen Version des Theaterstücks klug zwei Nebenfiguren weglässt, spielt genau die Nuancen der Dialoge der Hauptpersonen aus. So erreicht er hier von Anfang bis Ende eine bewegte Intensität…“ (Eva-Maria Lenz in „epd medien“ v. 18.09.2020)

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