Sprechen, Bauen, Leben, Brennen
Unsere blauen Augen von Teresa Dopler
Mit Jenny Langner, Vincent Redetzki, Birte Schnöink, Christian Friedel, Steffen C. Jürgens, Arnd Klawitter, Stephan Grossmann, Ellen Hellwig, Gerti Drassl und Udo Kroschwald
Komposition Michael Hinze Solisten Juliane Plankl, Andreas Uhlmann Ton André Lüer Schnitt Christian Grund
Hörspieleinrichtung und Regie Stefan Kanis
(Erstsendung: MDR KULTUR, 29.03.2021, 22 Uhr)
Ausschnitt aus »Unsere blauen Augen«
Ausschnitt aus »Unsere blauen Augen«
Inhalt | Presse
Eine Vorgebirgslandschaft. Darin ein Paar. Max könnte der neue Chef im väterlichen Unternehmen werden. Und Lisa den Supermarkt übernehmen. Also steht die Zukunft doch leidlich sicher in der Landschaft – die man mit einem Haus, einem Eigenheim verzieren könnte. Schon der Vater und der Großvater haben sich ihre kleinen Häuser gebaut. Heute darf es ruhig etwas größer sein – gern ein kalifornisches Landhaus. Auch wenn das Budget die 300 Quadratmeter eigentlich nicht hergibt. Unter blauem Himmel beginnen die Bauarbeiten am Grundstück. Der heimische Quittenbaum soll einer kalifornischen Palme weichen. Eine Palme hat es in Sernitz nie gegeben, aber das Klima macht jetzt ja vieles möglich. Wie auch die Fremden, die nun auch da sind und sich nicht sattsehen können an der Bläue des Himmels hier im schönen Vorgebirge. Derweilen realisieren Lisa und Max, dass sie wohl etwas blauäugig gewesen waren. Was das Finanzielle, den erhofften beruflichen Aufstieg, und was das Grundstück angeht. Noch stehen die Mauern nicht, da bekommt das Fundament schon Risse. Die Natur, so scheint es, sträubt sich. Und mittendrin stehen – wie seit Jahr und Tag – die Sernitzer Obstbäume. Die sich dazu das ihrige denken.
Presse
Panik unter Palmen
„Lisa und Max bekommen Sonnenbrillen geschenkt. So hell strahlt ihre Zukunft, dass sie ihre Augen schützen müssen. Oder sollen sie nur nicht so genau hinsehen, in die schattigen Winkel? „Hast du den Preis gesehen“, fragt Max seine Frau. Ihre Antwort: „Hast du die Veranda gesehen?“
Lisa und Max wollen ein Haus bauen in Teresa Doplers Hörspiel Unsere blauen Augen, das Stefan Kanis mit Jenny Langner und Vincent Redetzki in den Hauptrollen sehr trocken und dadurch mit einem guten Gespür für die Komik dieser Geschichte inszeniert hat. Die Kataloge versprechen das Blaue vom Himmel – in den auf den Bildern Palmen hineinwachsen. Der Mann, der die Kataloge dabeihat (Steffen C. Jürgens), steigert das Verlangen des Paares noch, er spricht nicht über die Realität, sondern von Träumen: Groß sollen Lisa und Max denken, kalifornisch, nicht deutsch-provinziell verzagt. Der Pool ist im Preis inbegriffen.
Dafür müsste dann aber der Quittenbaum weichen. Das sind eindeutig die schönsten Rollen in diesem Hörspiel: Gerti Drassl und Udo Kroschwald spielen zwei Obstbäume, die sich über die hochfliegenden Pläne der neuen Grundstückseigentümer echauffieren und vor allem die Palme anfeinden, die neben sie gepflanzt wird.
Unsere blauen Augen ist ein kleines, lustiges Stück über den mangelnden Charme der Bodenständigkeit und den daraus resultierenden Ehrgeiz, sich herauszuheben aus der Masse. Ein federndes Duell zwischen Glamour und Genügsamkeit. An dessen Ende Lisa und Max ein Dach über dem Kopf haben werden.“
Stefan Fischer, Süddeutsche Zeitung, 29.03.2021
Palmenfeindliche Obstbäume
(…) Dopler findet schöne poetische Bilder, um eine zeitlose Geschichte der Hybris zu erzählen, in die sie brandaktuelle gesellschaftliche Themen wie Klimawandel und Zuwanderung einwebt. Mit detailverliebten
Beschreibungen von Natur und dem Zyklus der Jahreszeiten ist diese Kritik sanft gebettet und hebt
nicht den Zeigefinger.
Regisseur Stefan Kanis hat das Stück für den MDR als Hörspiel umgesetzt. Mit einem schnellen dialogischen Schlagabtausch zwischen Jenny Langner und Vincent Redetzki als Lisa und Max gelingt Kanis eine starke Dynamik, die dennoch immer wieder Raum lässt für die lyrischen Bilder von Dopler.
Langner spricht die Lisa überzeugend: herrlich blauäugig und uneinsichtig zur gleichen Zeit. Ein schräges Element dient immer wieder zur Strukturierung der Geschichte: der gesungene Liedtext
von Udo Jürgens‘ „Ein neuer Morgen“. Teile des Songs werden mal von den Obstbäumen mal von anderen Figuren gesungen. Das kann auch ein bisschen schief klingen und wirkt dadurch
oft bizarr, aber auch ein bisschen verträumt und funktioniert als kleine Lauschinsel. Ein starkes Stück,
poetisch und kritisch zugleich.
Tamara Marszalkowski, epd-Medien, 23.04.2021
Zwischen Gigantonomie und Hybris
(…) Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hat unter der Regie von Stefan Kanis den Theatertext jetzt als Hörspiel eingerichtet, wobei der sanfte und melancholische Kulturpessimismus der Autorin in feinen akustischen Strichen sich über 56 Sendeminuten ausbreiten kann. Postmoderne Gigantonomie und selbstzerstörerische Hybris werden in der kleinen Fabel von Max und Lisa (Jenny Langner/Vincent
Redetzki), die sich im Umfeld einer zunächst noch unzerstörten Natur ihr kleines Glück gewaltsam zurechtzimmern wollen, mit vielen ironischen Brechungen gespiegelt. Die umweit- und kulturzerstöqrerischen Träume münden allerdings im Finale in einer Feuersbrunst, die möglicherweise didaktischer Fingerzeig für die angesprochenen Schülerinnen und Schüler sein darf. Der moralische Impetus ist dabei nicht ohne Witz und Charme in Szene gesetzt und kann wie von fern auch an Voltaires „Candide oder der Optimismus“ (1759) erinnern, die beißende Abhandlung menschlichen Scheiterns unter dem Vorzeichen bester menschlicher Absichten. (…) Nicht immer wird im Hörspiel deutlich, dass sich die geschundenen oder missbrauchten Sernitzer Obstbäume in das Geschehen dialogisch einzumischen versuchen. Da hätte es klarerer Verweise bedurft. Dagegen wunderbar zwielichtig die Herren von der Marketing-Abteilung für Eigenheime, bemerkenswert erfrischend Jenny Langner als düpierte Bauherrin und Palmenzüchterin, die wohl ebenso wie Max etwas blauäugig war. (…)
Christian Hörburger, Medienkorrespondenz, 26.03.2021
Teresa Dopler wurde 1990 in Oberösterreich geboren. Sie studierte Sprachkunst an der Angewandten Kunstuniversität Wien und Theater- Film und Medienwissenschaften an der Universität Wien. Längere Auslandsaufenthalte in Spanien, Portugal und Frankreich. Mit „Das weiße Dorf“ gewann sie 2019 den AutorInnenpreis des Heidelberger Stückemarktes; der rbb produzierte den Text als Hörspiel. Sie erhielt zahlreiche Literaturstipendien, darunter das DramatikerInnenstipendium der Literar-Mechana, und das Literaturstipendium der Stadt Linz. Teresa Dopler lebt in Wien.