Solveig van der Hoffmann lädt in die Werkstatt für Grundsatzfragen. Ein Ortstermin.
Wenn es Fragen gibt, sagt Solveig, bin ich für euch da. Sie steht im Foyer des LOFFT und zeigt auf ihre weiße Mütze. Daran erkennen wir sie im Getümmel. Auch wenn Sie nicht „Getümmel“ sagt, schwant einem doch, es könnte dicke kommen. Ich nicke, alle anderen auch. Schließlich stehen die Uhren auf Performance, und an uns soll es nicht liegen. Doch Grundsätzliches verträgt nur sechs Augen. Das Getümmel, der Wodka und die großen Fragen müssen warten. Der Haufen wird aufgeteilt. In neun Grüppchen zu je drei Menschen. Solveig macht ein bisschen Hokuspokus um die Lieblingsfarbe, ich wähle einen blauen Laufplan. Und schon gehöre ich zu Esther und Friederike. Und was machst du so? Die jüngere mit der schicken Brille macht was fürs Radio und Esther hat ihre Freundinnen irgendwo zwischen pink und lila eingebüsst. Ich gebe mir Mühe, ihnen nicht auf die Nerven zu gehen. Wie guten Freunde eben.
Der Zug, halb fürchtend, halb hoffend, dass es mit dem Wodka so schlimm nicht kommen wird, schwankt zum Café Westen. Noch mal die Karten vorzeigen und dann beziehen wir unsere Stationen wie Kinder die Gondeln eines Fahrgeschäfts: gucken über den Rand und warten, dass der Meister den Strom einschaltet. Immerhin: Jede Gondel ist nichts weniger als ein Weltenbaustein. Und wir, die Blauen Reiter, ausgeglichen und kenntnisreich, bekommen zu Beginn gleich die volle Breitseite: Gibt es einen Gott? Die Frage klebt an der Fensterscheibe des Cafes; wir starren zu ihr hinauf und wissen nicht, ob der Chef darüber reden will. Oder seine Schäfchen aus Personalmangel auf den inneren Weg schickt. Wir haben das System noch nicht begriffen: Erst wenn ein Schlagzeugwirbel dröhnt, läuft die Uhr. Sofort taucht hinter der Scheibe der Referent vom lieben Gott auf und macht uns sieben Minuten lang jede Menge Angebote zum Thema. Dass Gott aussieht wie Alice Schwarzer mit Bartstoppeln, lasse ich ihm durchgehen.
Das Publikum zieht auf dem Kreuzweg durchs Lokal. Wie viel Zeit habe ich – heißt die nächste Frage. Die Antwort hat mit der Lust und Laune zu tun, sich aus Rindshack einen Menschen zu basteln. Wir kneten. Esthers Männchen hat zwar das Herz am rechten Fleck, aber Friederikes wirkt mit Sonnenschirm entspannter. Ihr Golem wird geknipst und kommt an die Straße der Besten. Weiter geht’s. Das Geschehen verlagert sich in den hinteren Teil des Ladens, in Raucherraum und Oberstübchen. Mit einem Bier im Kopf bekommen die Grundsatzfragen einen Schwips und mutieren zu einem Zwitter aus Karnevalssitzung und Spieleabend. Nur die Lücken zwischen den Nummern drücken auf die Stimmung. Aber auf Gott ist Verlass, er schickt uns einen Kicker und je zehn Bälle für eine Umbaupause. Die siebte Station. Es wird noch einmal spannend. Gibt es einen Freien Willen? Die Schaffnerin dreht die Flasche auf dem schummrigen Billardtisch. Wen sie wählt, der muss sich zu Tat oder Wahrheit bekennen – ganz freiwillig. Zumindest für die Taten soll sich niemand schämen: Esther streichelt der Spielmeisterin den Unterarm, Friederike isst lieber selbst Sülze, als sie uns beiden zuzumuten – und ich höre mich singen: Bunt sind schon die Wälder. Da bleiben keine Fragen offen. Auch keine grundsätzlichen. Nicht an diesem Abend.
Stefan Kanis (Leipziger Volkszeitung, 09.02.2011)
„Grundsatzfragen. Theater mit Wodka“ | R: Solveig van der Hoffmann | Premiere: 07.02.2011 | Werstattmacher.LOFFT Leipzig