Aller guten Dinge sind drei?

Ein Abend über den Dichter Schernikau bemüht sich im LOFFT um Ordnung

„Alles was verstanden werden soll, wird dreimal gesagt.“ Der Vorhang fällt, die drei aufrechten Schernikaus sind durch. Der Dichter liegt hinter ihnen. Die Erleichterung ist ihnen anzusehen. Drei Seiten hat in der Produktion von „Portfolio Inc.“ jeder Gedanke – denn Ronald M. Schernikau war Kommunist, Literat und Schwuler –  und ließ sich als letzter Bundesbürger, im September 1989, in die DDR einbürgern.

Das Spiel um den letzten Kommunisten beginnt im LOFFT an einem weißen Diskurs-Tresen. Die drei Schauspieler klären eingangs ein Problem. Über Schernikau reden? Wie geht das? Niemand, das Publikum eingerechnet, erwartet darauf zu Beginn eine Lösung. Zumal eine, die in simpler Rede zu präsentieren wäre. Aber geredet wird trotzdem. Und das ausführlich. Der Start des Schernikau-Abend versenkt sich, mir nichts dir nichts, in einer theatralen und erzählerischen Ineffizienz, die ratlos macht. Bald jedoch kippt der Tresen in die Vertikale, das Auge freut sich an einer Ausstattungsidee (Halina Kratochwil): Teller und Kaffeetassen sind magnetisch und bleiben kleben. Man will das gar nicht verstehen, ist schlicht beglückt, weil es einfach nur passiert – und nicht darüber geredet wird. Derweil klagt das schwule Ich des Schernikau jedoch über fortlaufende Selbstmarkierung: Immer markiere der Schwule sich selbst; jeder Satz, den er notgedrungen, zur Verteidigung seines Schwulseins, mit seinem kommunistischen Drittelgegenüber wechsle, mache es nur schlimmer. Richtig, denkt man. Fällt das denn niemandem auf?

Die bewusstseinsspaltende Dreifaltigkeit hat sich inzwischen ins Parkett durchgekoppelt. Michael F. Stoerzer gibt den bedächtigen Kommunisten in Jeans mit Russenkoppel, Thomas Georgiadis tänzelt uns den Vorzeigehomo und Stefan Aretz fingiert den Literaten. Diese Darbietungen kommen absolut sortenrein über die Rampe: als sei das Leben, die Vermischung, die Infektion – Schernikau starb 1991 an AIDS – noch im Nachhinein ihm auszutreiben. Die Spielleitung von Marc Lippuner erinnert in ihrer didaktischen Sorgfalt und kategorisierenden Strenge an einen Sommerkurs von Attac. Schließlich zieht sie aber doch, fast überraschend, einen Schlussstrich unter dieses Universitätstheater und wendet sich dem Lebenslauf des Schernikau zu. Flucht der Mutter in den Westen, Studium am Literaturinstitut, Schriftwechsel mit Onkel Hacks und weiteres. In einer dieser Szenen, Mutter Schernikau verweigert den Befragern im Auffanglager die Beschimpfung der DDR, findet Stoetzer dann als Mutter zu einer Eindringlichkeit, die zumindest zeigt, was als simpel aufgefasstes Bio-Pic möglich gewesen wäre.

Und sowieso: Immer dann, wenn mehr Sprache, die den Namen verdient, mehr Literatur aus Schernikaus Feder Platz zwischen diesem gutwilligen Berichten und bemühten Darstellen findet, wächst einem dieser Paradiesvogel näher ans Herz. Und man ist der Inszenierung zur eigenen Überraschung fast dankbar für diese erinnernde Zumutung, die in ihrem Aufklärungsfuror daherkommt, wie ein imaginärer Banknachbar des Schernikau: Einer mit Seitenscheitel, der den schrillen Belzebub immer bewundert hat – und, wenn keiner mehr sich seiner erinnert, mit den Notizen zur Hand ist.

(Leipziger Volkszeitung, 11.09.2010)

www.portfolioinc.de

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