Ich mag kein lackiertes Theater

Knut Geißler kennt die osteuropäischen Theater-Provinzen wie kaum ein Anderer. Der Leipziger kuratiert seit 18 Jahren das Festival „Off Europa“. In der kommenden Woche läuft in Leipzig und Dresden seine aktuelle Werkschau: in diesem Jahr mit Theater aus Tschechien.

 

 

Frage: Vor 20 Jahren ist die DDR dem Westen beigetreten. Fast ebenso lang gibt es bereits „0ff Europa“? Was hat sich seither bewegt? Ist uns Ost-Europa nur anders fern als damals?
Ich glaube nicht, dass sich Deutschland wirklich bewegt hat. Osteuropa ist durch die Wende ja aufgesprengt worden. Das war sehr wohl eine Bewegung. Seit dem EU-Beitritt holen manche Länder stark auf, aber umso weiter südlich man kommt, desto fragiler wird das. Ich bemühe mich, genau hinzuschauen und mir die Frage zu beantworten: Wie generiert man Interesse für dieses andere? Im letzten Jahr, bei Bosnien, war es wichtig eine detaillierte Programmzeitung mit ein bisschen politischer Landeskunde zu machen. Das wurde gern gelesen. Im Falle des Nachbarlandes wie Tschechien wäre das anmaßend. Solche Sachen muss man bedenken.

 

Wie wird Freies Theater in Tschechien aufgenommen?
Tschechien ist uns als Nachbar insofern nah, als dass man Prag und Olomouc nicht vergleichen kann. Wie man Berlin und Wiesbaden nicht vergleichen kann. In Prag geht das Publikum mit großer Selbstverständlichkeit auch in kleine Theater, man spürt dort auch die Tradition dieser Bühnen. Es gibt auch nicht die Wahrnehmung: Das ist jetzt Off-Theater und irgendwie Kunst zweiter Klasse. Das ist schon ein Unterschied zu Leipzig.

Tschechiens Wirtschaft wächst kräftig. Die Menschen sprechen ein besseres Englisch als hierzulande. Ist Tschechien schon westeuropäischer als Ostdeutschland? Spiegelt sich das in den Produktionen?
Man muss die Produktionen von den Künstlern unterscheiden. Viele Tänzer und Performer in Tschechien verfügen über eine breite Workshop- und Ausbildungsbiografie, gerade weil man noch immer so eine unsichtbare Grenze überschreiten muss. Da sind die Deutschen bequemer. Und mit der Ausbildung in Amsterdam oder Kopenhagen wird natürlich auch der eine oder andere westeuropäische Trend kopiert. Aber das war eher ein Thema der späten Neunziger Jahre. Die Tschechen sind ein sehr eigenständig denkendes Volk. Und sie sind längst in der EU angekommen. Das wird dann auch nicht mehr andauernd problematisiert. Da interessiert die Künstler schon mehr die eigene Geschichte. Im Eröffnungsabend „Ekran“ spiegelt sich das über einen offenen Umgang mit den Dokumenten des vergessenen Alltags. Das wird nicht diskursiv zugespitzt, sondern bleibt in einer sympathischen Weise unabgerundet, sanft und witzig. Das ist dann doch sehr tschechisch.

Und das liegt Ihnen auch nahe?
Sicher. Ich mache bewusst einen Bogen um lackierte, auf Ergebnis hin inszenierte Produktionen. Ich liebe die kleineren Formen, ich brauche kein Theater, das aus dem Vollen schöpfen kann. Ich mag dieses kleinteilige Arbeiten und das findet man häufig in Prag.

Früher wechselte das Programm jährlich zwischen deutschen und ausländischen Produktionen. Das haben Sie aufgegeben. Gibt es für Auslandsarbeit die stabilere Förderung?
Ich konnte mir die deutschen Jahrgänge irgendwann einfach nicht mehr leisten. Es gab Mitte des Jahrzehnts eine Förderflaute und mit 22.000 EUR kann man nicht ernsthaft einen gültigen deutschen Querschnitt anbieten. Man muss ja auch die Dimension bedenken. Im Vergleich zu Mitte der 90er Jahre ist das Freie Theater in Deutschland nicht mehr überschaubar. Damals gab es noch ein Art Internet-Mundpropaganda. Heute lässt sich das als Einzelner gar nicht mehr erfassen, geschweige denn wichten.

Das können Sie im Ausland aber auch nicht.
Ja, aber im Ausland mache ich eine Bestandsaufnahme, die quasi immer bei Null beginnt. Man unternimmt eine Reise, die aus vielen Anläufen besteht. Der Blick ist unverbraucht und nach einem Jahr gibt es ein Ergebnis. In Deutschland denkt man ja mehr in Updates und Ergänzungen. Der letzte deutsche Jahrgang lief 2004. Seither ist viel Zeit im Theater vergangen. Ich müsste also auch hier wieder bei Null anfangen. Aber dafür ist das Land einfach zu groß. Und die Fehlstelle ist auch kleiner geworden.

Inwiefern?
Bei allen Problemen, die es im LOFFT gibt – die gewisse programmatische Unschärfe des Hauses oder die Schwierigkeit lokale Produzenten irgendwie angemessen zu integrieren: Es wird dort natürlich mittlerweile einiges aus Deutschland abgebildet.

Die Grenzen zwischen Stadttheatern und Off werden immer dünner. Sebastian Hartmann war mit „Kalter Plüsch“ 1998 ja auch mal Gast Ihres Off-Festivals.
Ich habe, nach dem er schon über ein Jahr hier Intendant war, plötzlich darüber nachgedacht, ob mich das gereizt hätte, wenn mein Fast-Freund Sebastian Hartmann mir so ein Gastspiel-Fenster angeboten hätte. Einen Musik-Kurator hat er ja auch. Aber dieser Gedanke kommt einem nur, wenn es Februar ist, regnet, und man sich nach Albanien aufmacht. Da überschätzt man die Wärme der Institution.

Seit 1992 recherchieren Sie im europäischen Theater. Für die Verhältnisse der Branche ist das eine halbe Ewigkeit. Wie lange kann man das machen?
Ich habe großes Glück, weil die Dinge immer wieder von vorn anfangen. Man kann das nicht mit einer Intendanz vergleichen. Ich lebe im wahrsten Sinne des Wortes von Jahr zu Jahr. Das Geld kommt von Jahr zu Jahr, mein Job verlängert sich im selben Rhythmus. Das ist für mich keine Belastung, eher ein Vorteil. Ich muss nichts über mehrere Spielzeiten absichern. Das bin auch aber auch ich: Mich interessieren die Dinge, so lange sie mich interessieren.

Was empfehlen Sie Zuschauern, die sich nur ein, zwei Vorstellungen anschauen können?
Natürlich soll zu Tanz gehen, wer sich für Tanz interessiert. Aber man kann auch nach den Häusern auswählen. Wer sich im UT Connewitz immer ganz wohl fühlt, wird sich mit den Arbeiten von „Handa Gote“ sicher anfreunden. Die Sachen passen ganz gut zu den Häusern. Das ist wirklich ein ernstzunehmendes Kriterium.

(Leipziger Volkszeitung, 20.09.2010; Interview: Stefan Kanis)

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