Die Performer von „Handa Gote“ verbergen sich hinter der Patina des Privaten
Die Heizung bläst laue Luft in die Zeitmaschine. Noch haben die Prager Künstler ihre Patience mit dem Gestern nicht begonnen, da atmet das Interieur des UT Connewitz schon sein gemächliches ‚Ach’. Wahrlich eine Unternehmung am rechten Ort. Der Eröffnungsabend der diesjährigen Ausgabe des Off-Europas-Festivals legt es mit „Ekran“ darauf an, alles, was an Modernität, Eile und Präzision über die Menschen gekommen ist, auszutilgen.
Fünf kleine Leinwände, es mögen die Rückseiten von Erdkundekarten sein, säumen die Bühnenmitte. Eine sechste, große behauptet mittig ihr Stummfilmformat. Linkerhand tummeln sich vier Musiker. An der Bühnenrampe ein knappes Dutzend Dia- und Super-8-Projektoren. „Kindheit“ – ein Titel flackert links über die Leinwand. In der Mitte schickt sich ein Junge an, ins Leben aufzubrechen. Die Beine im knöchelhohen Gras, in der Hand Pfeil und Bogen, läuft er aus dem Bild. Die Haare blasen ihm Wind und Abenteuerlust durcheinander. Hinten links das Heck eines Autos, vielleicht ist die Familie damit ins Grüne gefahren ist. Verblichen die Kontur, fast unkenntlich, wahrscheinlich ein Polski Fiat.
Von dieser Art sind die besseren Motive der unbekümmerten Schau dessen, was uns jeden Tag an Leben entrinnt und zu Vergangenheit wird. Arbeit, Freizeit, Wintersport, Opa und Oma – die Performer schütten den Sack des Alltags aus: Jene Bilder, die mit jedem Verstorbenen das unendliche Archiv der kleinen gelebten Wahrheiten anreichern. Weitergegeben auf Flohmärkten oder aus dem Sperrmüll gerettet. Im UT Connewitz feiern sie, sorgsam kategorisiert, ihre Auferstehung. Man macht, am Bier nippend, die eine oder andere Entdeckung, trifft auf ein skurriles Trio, das sich in großstädtisch-mondäner Kleidung auf die Abfahrtspisten der Hohen Tatra begibt. Und glaubt in all diesem ungetrübten Sein die Verteidigung einer besseren Welt herauszuschmecken, in der noch nicht die passende Funktionskleidung jede Lebenslage besetzte. Den respektvoll-neutralen Umgang mit dem gefundenen Bildmaterial, von dem das Programmheft spricht, darf man vorsichtig bezweifeln. Mindestens der hemdsärmlig-süffige Fusion-Jazz, den das Quartett zum sozialistischen Alltag auffächert, verspinnt alles mit allem zu einer Fototapete der guten alten Zeit. Verletzende Motive, Ratlosigkeit und Krankheit, Tod und Teufel bleiben ausgespart. In „Handa Gotes“ Zugriff – der Name stammt aus dem Japanischen und heißt soviel wie „Lötkolben“ – ist das freilich kein Problem: Solcherart Leben fotografiert der Privatier nun mal selten, erst recht zu einer Zeit, da jedes Dia wirklich Geld gekostet hat.
So stellen sich, zumal beim älteren Ostsozialisierten, allmählich wehmütige Freiheitsträume ein. Im Lächeln der tschechischen Baudendiva, im roten Lack des raren Felicia-Cabrios verklärt sich der schöne – und wohl auch geschönte – Alltag des Bruderlandes zur sinnlich ergiebigeren Epoche. Die Prager Performer vermögen dieser genügsamen Assoziation leider wenig entgegenzusetzen.