Wer immer strebend sich bemüht…

Das Lofft lädt zur Geisterfahrt mit Britney Spears

Ein guter Intellektueller hat noch nie Britneys Musik gehört, aber natürlich im Feuilleton über sie gelesen. Und was sagt „Faust“ den bildungsfernen Schichten? Zumindest der Name ist bekannt. Wahre Prominenz strahlt in die verschiedensten Milieus. Der Gott des einen taugt dem andern mindestens als Reizwort.

Über diese verdeckte Naht fährt der Finger der Inszenierung und prüft, wo das heiße Höschen der Popdiva mit dem Talar des Gelehrten sich unbewusst verschwägert. Der Abend ist eine große Materialschau, aus der das Publikum sein lehrreiches Vergnügen zieht. Alles beginnt mit einer szenischen Behauptung: Was dem alten Faust sein Mephistopheles ist der Britney ihr Personal Trainer. Das funktioniert, denn dieser Belzebub hat schon mal die heißeren Höschen an. Dan Pelleg, der jedem Frauenmagazin als Coverboy aufhelfen könnte, stülpt sich eine Mickey-Mouse-Maske über und lullt die gute Britney ein in den Traum des Goldes und der Gier. Ein simples, aber auch archaisches Bild, mit dem Stephan Thiels Regie das Kammerspiel eröffnet. Und es bewährt sich, weil dieser Teufel mit jeder Minute mehr oszilliert; ganz so, wie auch der Bildungsbürger seinen Mephisto schätzt. Der moderne Luzifer ist zuallererst ein Tänzer, er verwindet sich, wandelt sich in alle Zwänge, die dem Popsternchen das Leben vergällen: Pelleg ist die ewige Konkurrenz des Trainers, er ist der untergründige Neid, den der Fan seinem Idol entgegenbringt und schließlich der Triumph der Kulturindustrie, die erst ruht, wenn der Goldesel sich selber das Fell über die Ohren gezogen hat.

Tilla Kratochwil ist das Opfer. In schönem Widerspruch zum schicken Teufel formuliert bereits der kleine, gelebte Körper der Schauspielerin, was nur zwingend ist: Dieses Spiel über Britney ist ein Spiel über jeden Menschen, der sich selbst nicht mehr einordnen kann. Wie auch, wenn alle Tanzstudios, in denen Britney auf ihren Tourneen übt, keine Fenster haben. Ist das Toronto oder Tokio, fragt sie unwirsch. Wenn man wenigstens den Kontinent wüsste. Drei Mal will sie aufs Klo, dreimal schreckt sie ein Blitzlichtgewitter am Ausgang zurück, treibt sie wieder und wieder in die Arme ihres Gevatters. All diese Reihungen des Übels, die – in minderer Besetzung – das Risiko tragen müssten, verkopft zu erscheinen, variiert Tilla Kratochwil eins ums andere mal. Zäh, eruptiv und präszise, mit einem Witz, der ihr im Fleisch zu stecken scheint, und deshalb nicht gespielt werden muss, zieht sie ihre Kreise in der Ödlandschaft des öffentlichen Ruhms. Freilich bleibt ihr am Ende nur noch die Kopie einer Pose: Einmal die Zunge so rausstecken können, wie Mick Jagger. Man wünscht ihr sehr, es möge gelingen.

(Leipziger Volkszeitung, 23.10.2010)

„Britney, Britney“ | Regie: Stephan Thiel | Mit Dan Pelleg und Tilla Kratochwil | Premiere: 21.10.2010 www.theaterkosmos.de | www.lofft.de

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