„Merlin oder Das wüste Land“ von Tankred Dorst („Schaustelle Halle“ und „Ebeling & Koll.“)
Wir siegen, flüstert König Artus. Ein letztes Mal hat ihm sein Zauberer Merlin die Zukunft offenbart. Ja, wir werden siegen. Und wieder merkt Artus nicht, dass diese Wahrheit keine Zukunft hat. Gestern nicht und heute. Ein letzter Ton auf der E-Gitarre und das Licht verlischt. Nur hoch oben am Ruhmeskranz des Völkerschlachtdenkmals strahlen vier böse Ritter eisig über Leipzig und die kleinen Fahrensleute. Die steinernen Recken werden niemals etwas lernen. Mindestens dies schafft das Spiel der Komödianten: Die pompöse Kulisse enttarnt sich wie nebenbei als groteske Schauerlichkeit des Militarismus.
Dieser Effekt fällt der Inszenierung von Stefan Ebeling halb in den Schoß, halb erstreitet sie ihn. Wiewohl Ebeling in der alten Geschichte von den Rittern der Tafelrunde auf Parzival, den reinen Toren, verzichtet, borgt er sich dessen Wesen für alle Spieler: Der Mensch ist ein weißes Blatt und seine Seele kann Gut und Böse nicht auseinander halten. Folgerichtig betritt die Bühne am Mittwochabend eine Clownstruppe in weißen Stramplern, die die Figuren zu Beginn unter sich aufteilt. König wird, wer sich berufen fühlt, nur merkt dieser Artus zu spät, dass er sich keinen Text merken kann. Aber sei’s drum, kein anderer zieht sich freiwillig diese Jacke an. Alles genauso wie heute. So nimmt der Abend in der ersten Viertelstunde Fahrt auf. Das Feld ist noch unbestellt, der runde Tisch steht unberührt neben der Bühne. Die Akteure müssen eingeführt werden: Lancelot, der Held, der mit dem Übermaß an Kraft, nicht weiß wohin. Mordred, aus inzestuösem Halbschatten gesprossener Sohn des Artus, Ginevra die neue Königin. Im behänden Pendeln zwischen privatem Kommentar und Rollenslapstick spielt das improvisationserfahrene Ensemble seine Stärken aus, und rückt, etwas später dann, die Debatten um das neue Berufsheer der Bundesrepublik ins schönste Zwielicht: Der runde Tisch hat sich versammelt, es mangelt an Ritternachwuchs. Was tun? Zwangsdienst oder doch Berufsstreitkräfte? Mordred echauffiert sich: Man wisse doch, was sich, lockt man mit Geld, für ein Kroppzeug zum Dienst melde: Hastdunichtgesehn – und du befehligst eine Asi-Armee. Ein veritabler Lacher. Gekonntes Timing und szenische Einbettung verhindern, dass diese Durchbrüche ins heute in den Untiefen des Kabaretts stochern.
Aber es gibt noch eine Geschichte zu erzählen. Und keine kleine. Es ist ein Mythos. Merlin, der Zwiegespaltene, Sohn des Teufels, vererbt sein ethisches Dilemma wie eine Seuche auf das Personal der Tafelrunde. Zuerst auf Ginevra, Artus Frau. Sie liebt ihren Mann und kann doch von Lancelot, dem starken Held, nicht lassen. Und alles Uneingelöste gärt weiter, auch zwischen den Generationen: Für die Alten mag die Tafelrunde ein Weg aus der Barbarei gewesen sein, für die jungen Mordreds dieser Welt ist er kaum mehr als öder Stillstand. Eine Herausforderung, diese Brocken in frische und tragfähige Bilder zu übersetzen. Der temporeiche Abend versucht hier zu wenig. Wenn Mordred (facettenreich: Johannes Gabriel) den Engel seines Schicksal, der in dreierlei Gestalt hinter ihm posiert, zwingen will, sich ihm zu offenbaren, erhellt sich im Schnittpunkt von Intensität und Ironie die Tragik dieser Figur. Hier sieht man den Menschen im Clown. Man wünscht sich diesen Maskentausch häufiger, auch vorm Völkerschlachtdenkmal.
Stefan Kanis (LVZ, 8.7.2011)
Schaustelle Halle und „Ebeling & Koll.“ | »Merlin oder Das wüste Land« von Tankred Dorst | Regie: Stefan Ebeling | Mit: Simon von Parys, Heike Ronniger, Astrid Kohlhoff, Mario Pinkowski, Conny Wolter und Johannes Gabriel