Helfen bis zum Umfallen

„Kaspar Häuser Meer“ – ein Sittenbild der Sozialarbeit zu Gast im LOFFT

Man wünscht den drei Frauen auf der Bühne, sie könnten Fische sein. Stumme Fische. Doch Gott meint es nicht gut mit ihnen. Er hat sie Sozialarbeiterinnen werden lassen. Und so bleibt ihnen nur das Reden. Über das Leid, das fortwährend verhindert werden muss. Über die Felle, die einem wegschwimmen, weil es immer mehr Fälle gibt. Und jetzt ist auch noch der Kollege Björn ausgefallen. Björn-out-Syndrom, vermerkt die Autorin zur Grundsituation.

Felicia Zeller hat viel verstanden vom Dilemma der delegierten Nächstenliebe. Wo es an Nachbarschaft und Solidarität mangelt, kann kein Jugendamt der Welt die Dinge wieder Geraderücken. Der Krankenstand ist eine Funktion der chronischen Unterfinanzierung, auf dem Humus der Verwaltungsallmacht gedeiht der Behördendschungel.

Das Trio des Abends darf als repräsentativ gelten: Barbara, seit 20 Jahren im Beruf, schüttet Vertrauen oder Missgunst nach Gutdünken über ihren Klienten aus. Silvia, 15 Dienstjahre, hält mit Alkoholproblemen und drei Zigaretten im Haargummi noch die geradlinigste Verbindung zu ihrem Selbst. Anika, frisch von der Fachhochschule, tritt ihrem eigenen Kind zu nahe und findet sich selbst als Fall auf dem Schreibtisch der Kolleginnen.

Den Vorteil, den schon der Text Felicia Zellers mitbringt, spielt die Inszenierung voll aus.  Die drei Damen vom Amt sprechen über sich und reden sich um Kopf und Kragen. Immer läuft die Uhr unter ihrer Schädeldecke schon schneller als die Sprechwerkzeuge. Bevor ein Satz zu seinem Ende kommt, stapelt sich schon der nächste drüber. Ist auch egal, die anderen wissen sowieso, was man sagen will.

Felicia Zeller nennt ihr vielgespieltes Stück eine Komödie. Zu recht. Nur im Lachen mobilisiert sich noch die Hoffnung, es könnte auch eine andere Welt geben. Tilla Kratochwil, Nadja Petri und Gabi Völsch lassen sich nicht lange bitten. Sie verschalten den verwaltungspädagogischen Kopfsalat mit einem Körperspiel, das versucht, den Sinn des andauernden Redens einzuholen. Arme tranchieren die Luft in Gedankenstriche, Augen flüstern Dementis, Hände fiebern über Registraturen. Man sollte einfach mal auf seinen Körper hören.

Wolfgang Menardis Bühnenraum aus Perlenschnüren schafft für diese Körperarbeit vielfältige Spielanlässe, Stephan Thiels Regie integriert sie rhythmussicher auf hohem Niveau. Den Damen aus dem Amt gelingt zum Thema „Sozialarbeit“ eine extravagante Tischvorlage. Schluchzendes Wiedererkennen tönt aus den vollbesetzten Reihen. Es sind wohl Betroffene im Saal. Am Ende ist doch alle Kunst Sozialarbeit.

(Stefan Kanis | Leipziger Volkszeitung v. 27.02.2012)

KASPAR HÄUSER MEER von Felicia Zeller | R: Stephan Thiel | Mit Tilla Kratochwil, Nadja Petri und Gabi Völsch | Theater unterm Dach 2008

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