Tanzproduktion der „Villa“ zeigt im LOFFT kraftvolles mixedabled-Ensemble
Wenn man große Worte über den vergangenen Sonnabendabend machen wollte, könnte man sagen: Eine der Utopien unserer geteilten Welt ist für eine Theaterstunde eingelöst worden. Die Utopie, dass Behinderte und Normale zusammengehören. So weit zusammengehören, dass selbst ultimative Reflexe zum Schweigen gebracht werden. Reflexe der Kategorie: Äh, war das jetzt politisch korrekt? Darf man „normal“ sagen in einem Satz mit „behindert“? Oder verhalte ich mit damit normativ? Bin ich die Norm, weil ich zur Mehrheit gehöre? Und was derlei Probleme mehr sind.
Die fünf Performer räumen mit solcherlei Denk-Behinderungen auf. Dies bleibt der vielleicht nachdrücklichste Gewinn der Inszenierung von Marlen Schumann. Wo die Sprache unbeholfen wird, greift der Körper in den Raum und stellt sich. Ingo Lämmel, Krankheitsbild: spastische Tetraparese, zuckt aus seinem Rollstuhl und schiebt sich über die Bühne. Die Hand, die er seinem Spielpartner (Samuel Duvision) reicht, wird angenommen. Aber wenn nicht alles täuscht, kulminiert der brüchige Kontakt in einer Geste, die man als Armdrücken wieder erkennt. Oder wieder zu erkennen glaubt. Von Hilfestellung kann jedenfalls nicht die Rede sein. Connection impossible?
Diese erzählerische Offenheit, die auch stets vom Chaotischen zehrt, überzeugt. Die Stärken des Abends entwickeln sich aus diesen unscharfen Assoziationsräumen. Besonders prägen sich die Gruppenarrangements ein. Kauernd, kniend, der Erde stets näher als dem Himmel, erzittern diese Familienaufstellungen in merkwürdigen Spasmen, gefrieren in körperlichen Versuchen der Zuwendung. Lisa Zocher ist im Halbdunkel dieser Menschenschau eine kauzige Heldin von spröder Kraft und archaischer Schönheit. In durch Profis nicht zu kopierender Plötzlichkeit hebt sie Augenbraue und Arm und verweist auf eine Sehnsucht, die zu gleichen Teilen in ihr wohnt und von außen Erlösung erhofft. Aus dem verwunderten Blick des Zuschauers auf dieses Rätselland der gestörten Verbindungen erwachsen – völlig beiläufig – schönste Irritationen.
In der dritten gemeinsamen Arbeit der Gruppe führen solche Irritationen keinesfalls zu Berührungsängsten. Im Gegenteil. Jana Rath und Katja Barufke imitieren und interpretieren in einer Duo-Sequenz das Bewegungsbild eines spastisch Behinderten. Der mehrfach gelähmte Ingo Lämmel kopiert unter sichtlichen Mühen das entspannte Beine-Übereinander-Schlagen des ‚normalen’ Mannes. Irgendwie sieht das bei ihm nach freundlicher Ironie aus. Die Compagnie nennt Ihre Arbeit resolut „Connection impossible“. Ihr offenes Spiel setzt dahinter ein Fragezeichen.
(Stefan Kanis, Leipziger Volkszeitung vom 5.3.2012)
Connection Impossible. Choreographie: Marlen Schumann | Mit: Lisa Zocher, Katja Barufke, Ingo Lämmel, Jana Rath, Samuel Duvision | Premiere am 3.3.2012