Guter Mensch im schweren Wasser

Notiz zu „Der gute Mensch von Sezuan“ am Centraltheater Leipzig

Kathrin Angerers Shen Te löst ein, was man sich erhofft. Sie steuert die Exaltation des Gutmenschentums zwischen Auflösung und Karikatur der Figur in unmerklicher Mitte. Der Vetter Shui Ta: Was das Kostümbild hier vermag. Ein Dreikäsehoch, der sich an einer Chaplinade versucht. Dieser Shui Ta ist noch zerbrechlicher als seine von den Wassern der Seele bewegte Cousine. Um so mehr überträgt sich die Verzweiflung ins Parkett, wenn Angerer darum kämpft, sich aus dieser schmalhüftigen Figur in Kraft zu setzen.

Die Inszenierung lässt sie aber leider – schon im Konzept – im Regen stehen. Die bizarr wertvolle Kunstfigur, in die sich Kathi Angerer immer schon verwandelt, wenn sie nur zu sprechen beginnt, ist – an sich ganz richtig – das fundamental Andere in diesem Sumpf aus Kleinlichkeit und Egoismus in der Provinz Sezuan.  Nur flutet Sebastian Baumgarten mit dieser ins Pittoreske ziehenden Spielweise, die Angerer unauslöschlich eigen ist, das ganze Ensemble. Guido Lambrecht leistet artistisch Vorbildliches, auch Peter René Lüdicke raspelt sich als Widergänger seiner selbst energisch durch den Abend – aber all dies verkürzt doch nur den Abstand zur Figur gewordenen Ausnahme der Shen Te. Sie ist die groteske Statue der Moral in einem Meer der Ignoranz; der Stoff fordert hier mehr erspielte Differenz, als nur der Text vermittelt. Von der brechtschen Ästhetik des Zeigens hätte, der scharfen Kanten wegen, gern mehr überbleiben dürfen. (So verträgt es sich denn auch nur gut, dass sich Maximilian Brauers Wasserträger mit seiner gestisch bereden Verzweiflung an das zum Himmel schreien/spielen der Angerer anlehnt. Er ist ja ihr Bruder im Geiste.)

In dem aber alle ein bisschen verrückt spielen dürfen, kappt sich der Abend ganz entscheidende Spannungspunkte. Da ist es fast geschenkt, dass uns Birgit Unterweger die Hausbesitzerin als dem Alkohol zugetane Exilrussin abbildet. Von Unterweger spielerisch zweifellos gekonnt gelöst, schliddert die Inszenierung in ihrem Überraschungswert bis knapp vor die Kante zum Perücken-Kabarett.

Über die Umwertung der Götter zu Mao, Lenin und Marx wäre ebenso noch ein Wort zu sprechen. Hätten sie sich auf der Suche nach einem guten Menschen in ein Stück von Matusche oder Hacks verirrt, warum nicht. Aber warum die Hofheiligen des Kommunismus im vorrevolutionären China nach einen Menschen ausschauen, dem die (kapitalistischen) Verhältnisse es ermöglichen, gut zu sein – dieses Geheimnis bleibt im Schreibtisch der Dramaturgie verborgen.

Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht | R: Sebastian Baumgarten | Mit Kathrin Angerer, Maximilian Brauer, Peter René Lüdicke u.a. | Centraltheater Leipzig

Video zur Inszenierung auf centraltheater-leipzig.de

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