Thomas Pynchons Roman „Die Versteigerung von No. 49“ kommt im Lofft auf die Bühne
Wenn mal wieder wer den „Zauberberg“ aufs Theater bringt, muss man über die Vorlage kein Wort verlieren. Aber wer bitte ist Thomas Pynchon? Ältere Semester schütteln über solche Leerstellen natürlich den Kopf. Als Diplomarbeiten noch auf mechanischen Schreibmaschinen getippt wurden, war Pynchon ein Gott. Ein paar Damen und Herren aus diesen Jahrgängen mischten sich dann auch unters Premierenpublikum im Lofft: Noch einmal dem morbiden Reiz einer alten Liebe frönen und schauen wie sie sich gehalten hat.
In Pynchons Buch, das Original erschienen 1966, versinkt eine junge einsame Heldin in einem Netz aus Instabilitäten. Oedipa Maas, so der anspielungsreiche Name, soll das Testament eines schwerreichen ehemaligen Geliebten vollstrecken. Sie begibt sich unter der Sonne Kaliforniens auf die Suche nach einem Code, der ihr helfen soll, das Leben dieses Oligarchen zu verstehen. Was sie bekommt, sind Handreichungen, die sie unumkehrbar in einen Menschenpark von Außenseitern verstricken, die möglicherweise nur eines gemeinsam haben: Sie nutzen ein anarchistisch-zeitloses Postsystem, aber auf keinen Fall die US-Mail. Es ist ihre Form des individuellen Protestes gegen eine uniformierte Gesellschaft. Ganz abgesehen von hochaktuellen Bezügen des Stoffs – Stichwort Darknet – der Clou und die kräftige Wahrheit in Pynchons Buch: Die Verschwörung, nach der es riecht und nach deren Entschlüsselung alle gieren – die Romanfigur Oedipa genauso wie der Leser – ist ein Lebenselixier der Menschheit: die Behauptung einer gegliederten, verständlichen Welt, gerade auf ihrer Schattenseite. Diesem Urwunsch ist über die Jahre auch die Literatur entgegengekommen. Pynchons relativierende Erben, Umberto Eco mit seinem „Foucaultschen Pendel“ oder Dan Browns Super-Symbologen-Reihe, nehmen die dunklen Seiten des Irgendwie an die Hand und tüten sie ein in ein braves System von Ursache und Wirkung. Das unterhält die Leserschaft. Doch Pynchon verweigert die Ordnung der Dinge und damit auch die Unterhaltung des Publikums.
Klaus Gehre, der für Konzept und Regie des Theaterabends zeichnet, will sich Humorlosigkeit auf keinen Fall nachsagen lassen. Er versetzt seine Hauptdarstellerin Anna Mönnich in ein gelbes Schaumstoffsetting, in dem sie mit ihrem Spielpartner (Richard Wagner) nach dem Stein der Weisen sucht. Die im Detail liebevolle Ausstattung (Thomas Weinhold) sorgt gemeinsam mit Videobühnenbild (Franzika Junge) für den Budenzauber des Comics, den das Programmheft verspricht. Oedipas Zigaretten sind Puppenstuben-Glimmstengel im XXL-Format, das Feuerzeug gibt zwar keine Wärme, aber tönt dafür wie ein Flammenwerfer: Michael Lohmann möbliert das akustische Bühnengeschehen als virtuoser Tanzmeister mit Signalgeräuschen, Soundbetten und Kommentaren. Eine Puzzlearbeit aus unzähligen Bausteinen, die schon zur Premiere auf erstaunlich passgenaues Timing gestimmt ist.
Es wird viel gegeben: Fliegende Haarsprayflaschen, tranquillierte Ford-Impala-Lenkräder: der quellenfeste Pynchon-Freund wird einiges wiedererkennen und seinem Gedächtnis gratulieren. Und die anderen, die armen Nachgebornen? Die sollten auf jeden Fall vor der Vorstellung zu einer Droge greifen. Denn wirklich verständlich ist das, was sich knapp zwei Stunden auf der Bühne abspielt, für Pynchon-Abstinenzler natürlich nicht. Mag sein, dass sich das Team hier falsche Hoffnungen gemacht hat. Zwar mit kräftiger Comic-Pose, im Grunde aber doch buchstabentreu: So gehen Gehre und Genossen durch die Vorlage und landen zum guten Schluss in einem Niemandsland zwischen freier Assoziation und Storytelling. Hinter einer der beiden Grenzen wäre das Erlebnis für den Zuschauer womöglich farbiger gewesen.
(Leipziger Volkszeitung, 29.05.2010)