Der JÜngste Assistent Brechts
Der Zögling von Peter Voigt. Mit Peter Voigt und Oliver Urbanski. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: katrin Wenzel. Ton: André Lüer. Schnitt: Christian Grund. MDR 2006. (53’33 | Ursendung: 10.08.2006)
Der Zögling von Peter Voigt. Mit Peter Voigt und Oliver Urbanski. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: katrin Wenzel. Ton: André Lüer. Schnitt: Christian Grund. MDR 2006. (53’33 | Ursendung: 10.08.2006)
ca. 50 Rätsel-Kurzstücke von Michael Schulte. Mit Martin Seifert als Eddy Weissmann u.v.a.
Regie: Stefan Kanis. MDR 2006-2008
Arme Männer, schreckliche Frauen – Esther Vilar. Feature von Michael Schulte. Mit: Simone Kabst, Claudia Gräf und Hilmar Eichhorn. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: Katrin Wenzel. MDR 2005 (23’52 / Ursendung: 11.09.2005)
Waren die Götter Astronauten? Feature von Thomas Prinzler. Mit: Viola Sauer und Hendrik Wöhler. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: Katrin Wenzel. MDR 2005 (57’56 / Ursendung: 14.04.2005)
Ausschnitt »Auf einem Hügel in der Uckermark«
Auf einem Hügel in der Uckermark: Botho Strauß. Feature von Matthias Kußmann. Mit: Heidi Ecks, Jens Winterstein und Marco Albrecht. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: Katrin Wenzel. MDR 2004 (24’01)
Ausschnitt »Ich bin eigentlich ein Taschendieb«
Ich bin eigentlich ein Taschendieb. Feature von Michael Schulte. Mit: Frauke Poolman, Horst Hiemer und Michael Schrodt. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: Katrin Wenzel. MDR 2004 (23’44)
Der Zug nach Wicklow von Christina Calvo. Mit: Felix Spyrka (Lukas), Karl Rieper (James), Axel Wandtke (Christopher), Marylu Poolman (Mary O‘ Brian), Annekathrin Bürger (Großmutter), Reiner Heise (Edward), Jörg Dathe (Bahnbeamter 1), Klaus-Dieter Bange (Bahnbeamter 2) u.a. MDR 2003 (39’02 / Ursendung: 22.06.2003)
* Christina Calvo, 1949 geboren, lebt als freie Autorin in München. Unter verschiedenen Namen verfasste sie Bühnenstücke, Drehbücher, Erzählungen, Satiren, Kinderbücher, Hörspiele für Erwachsene und ein Dutzend Kinderhörspiele, u.a. „Geh nicht auf den Eulenhügel“ (RB 1998) und „Das Flüsterzimmer“ (BR 2002).
(Das Stück wurde mit dem 2. Preis des Kinder- und Jugendhörspielpreis des MDR-Rundfunkrates 2004 ausgezeichnet.)

Ausschnitt »Mein Leben besteht aus lauter Kleinigkeiten«
„Mein Leben besteht aus lauter Kleinigkeiten“. Feature von Michael Schulte. Mit Simone Kabst, Andreas Gugliemetti und Johannes Gabriel. Regie: Stefan Kanis. Redaktion: Katrin Wenzel. MDR 2003 (23’29)
Oh Gott, gib uns ein Stahlgewitter – oder doch wenigstens Brigitte Reimann. „Who the fuck is B. Reimann“ schriebe dazu sicher irgendwer im Programmheft von »Pussy Talk«. In Sachen Reimann dürfen wir hier kryptisch sein, die Pussy-Brigade ergeht sich ebenso in Zeichen und Wundern – zumindest im Programmheft. Das regt die Phantasie an. Weiterlesen
Matthias Hummitzsch ist unser Tartuffe. Die Leipziger City Lights zeigen uns sein großes rotes Herz. Das Motiv, klug ausgeborgt bei den Kitsch-Artisten Pierre et Gilles, annonciert die Heiligsprechung der Schönheit als Pop-Inszenierung. Die Zeichen deuten auf einen Kunstraum, auf eine Arena der Gesten, versprechen ein differenziertes Humorverständnis. Doch im Schauspielhaus kommt es anders. Ein mintgrünes Kulissenungetüm von Claudia Doderer nagelt die Schauspieler auf der Vorderbühne fest. Sie stürmen von rechts eine Rampe hinunter oder reißen links Theatertüren auf und dann stehen sie da. Stehen da, auf diesem Platz in diesem halb-historisierenden Bühnenmöbel in ihrem unmöglichen Aufzug. Joachim Herzog zieht der einen Hälfte des Ensembles katastrophale, der anderen Hälfte langweilige Kleider an. Das Kleinbürgertum hat keinen Geschmack und das quer durch die Jahrhunderte? Der eine Junge trägt Goldkette und Imitat-Rolex, der andere geht mit dem Baseballschläger los. Die Ausstattung ist aufdringlich; was sie aber zeigt, ist ohne Klarheit und Sensibilität. Weiterlesen
Ein Londoner Autor, Jahrgang 1970, schreibt ein Stück über Iren. Er hat die Heimat der Eltern, die auf heilige Namen wie Galway und Limmerick lautet, in den Ferien regelmäßig besucht. Aber er schreibt kein Stück über Katholizismus und Whiskey. Die Iren des Martin McDonagh sind dekoloriert. Schwankende Gestalten ohne Ambiente, ihr Nationalstolz kommt nur im Negativ vor, als etwas, wofür man sich nichts kaufen kann. Möglich, dass das nie anders war. Doch das interessiert den Autor nicht. Alles was er braucht ist »ein Dialekt, eine kleine Geschichte und einige nette Charaktere«. Weiterlesen
„Weil der Mensch ein Mensch ist – braucht er was zu Fressen, bitte sehr“. Kann man daran vielleicht was ändern? Der Veränderer Brecht geistert in Horváths Stück als intellektueller Eugen durchs Oktoberfestgeschehen. Wenn er seiner neuen Bekanntschaft Karoline einflüstert, daß die allgemeine Krise und das Private auf unheilvolle Weise miteinander verknüpft seien, herrscht sie ihn an: „Geh, redens doch nicht so geschwollen daher.“ Und was tut sie, die gute Seele: Sie kauft sich noch ein Eis. Horváth hat geahnt, daß mit dem Proletariat keine Revolution zu machen ist. Denn aus Ärger wird bei Horváth nicht Wut, sondern Stille. Weiterlesen
Die gründliche Faustinszenierung des Intendanten hat zu mancherlei Freude das Licht der Bühnenwelt erblickt – nun stürzt sich das Schauspiel auf die Gegenwart. Es gilt Lücken zu schließen. Mit Martin Crimps »Anschläge auf Anne« hatte man zwar beim Spektakel einen Hocker in die Raucherecke der neuen Unübersichtlichkeit gestellt und dann, wesentlich später, mit »Disco Pigs« noch mal nachgefaßt – aber nicht nur Sarah Kane ist am Spielplan vorbeigegangen. Auch in Deutschland gibt es neben Bukowski noch Autoren. Diese ‘Unbekannten’ sind längst Großstadtrepertoire. Weiterlesen
Nun ist es doch noch mehr Geld geworden, als erwartet. Festivaldirektorin Ann-Elisabeth Wolff lächelt herzlich. Sie ist sich keiner Schuld bewußt. Mit einer Geste und einem Seufzer ordnet sie diese endlosen Kämpfe um die Fördergelder kurzerhand dem notwendigen Alltag zu. Darüber mehr Worte zu verlieren, hieße Aufmerksamkeit von denen abzuziehen, für die sie auf der Welt zu sein scheint: ihre Künstler. Ohne dieses Engagement – das kann als sicher gelten – wäre das Festival im kulturpolitischen Strudel längst untergegangen. Kulturdezernent Giradet attestiert auf der Pressekonferenz im Partnerhotel denn auch “fabelhaften Spürsinn” und “große Kennerschaft”. Er zögert nicht, von einer “stabilen Situation” zu sprechen. Die Stadt bestreitet mit 250000 Mark ein knappes Drittel des Festival-Budgets. Möglich, dass Leipzigs Kulturpolitik die signifikanten Unterschiede zwischen artifiziellen Renommierprojekten und anspruchsvollen kulturellen Mesalliancen (zu denen die »euro scene« vorstößt) bemerkt und zunehmend bedenkt. Weiterlesen
Nicht nur Leipzig hat ein Hochhaus, das sich niemand mehr leisten kann. Zumindest niemand aus der Messestadt, schon gar nicht die Universität. Auch in Jena verstirbt Tag für Tag ein solch charmantes Ungetüm, kreisrund und schön – ein nutzloser gewordener Zeuge sozialistischer Zukunftsträume. Hinter ihm ragt ein schicker Neubau, nicht ganz so hoch, aber ungeheuer zweckmäßig. Die nutzlose Vergangenheit wegzureißen, kommt zu teuer. Also konkurrieren sie, die beiden Gebäude. Konkurrieren, wie die verschiedenen Leben, die die Menschen in Ost und West hinter (und vor sich) haben. Aus diesem Stoff und dem Blick in eine unwirtliche Zukunft hat das Theaterhaus Jena ein anspruchsvolles, immens aufwendiges Freiluftspektakel entwickelt. Weiterlesen
„Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann.“ Das ist der traditionelle Sinnspruch zum Thema Ballhaus. Ein Ort für den Krieg der Geschlechter. Hier zeigt er noch Würde und Kraft wenn er sich in Form entlädt, sich in ihr haltend, ihre Grenzen doch endlos erweitert. Man und Frau können sich zwar nicht entbehren, aber verstehen werden sie sich nie – das ist die Trauer des Tangos. Im Ballhaus schwebt etwas von dieser Stimmung – und von der Hoffnung, es könne so etwas wie Glück geben. Doch das alles liegt uns nicht, wenn wir Deutschen in verbeulter Freizeithose und „rüssel fläz gähn“ -Stimmung mit der Legion Condor nach Mallorca fliegen. Weiterlesen
Theaterspektakel Dschungel L.E. Letztens sprachen wir an dieser Stelle vom ‘Theater’ im ‘Spektakel’. Von den einzelnen Inszenierungen im Dschungel L.E. Da gab es Höhepunkte und Schwachstellen. Am Rande standen Erwägungen zum Fest-Charakter der Veranstaltung. Wollen wir heute vom Pop sprechen. Wollen wir zum Beispiel die Frage stellen, warum Jim Whitting ins Schauspielhaus kommt und nicht das Schauspiel zu Jim Whitting. Wollen wir eine defätistische Überlegung anstrengen zum Anachronismus des Stadttheaters und zur ‘hegemonialen Kultur’. Weiterlesen
Schaut man sich um, so darf man annehmen, Herr Müller steht mit der Tierwelt auf einem besonderen, vielleicht auf gutem Fuße. Die Zahl der tierischen Wesen – so wollen wir sie nennen – die seine Bilder bevölkern ist immens. Und sie stellen uns heute Abend vor die erste zu lösende Frage: Wer wen? – Das heißt: Wer ist hier für wen da?
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I.
Freitags 17 Uhr. Zwei Stunden vorm Spektakel ist die Bosestraße noch leer. Die Leiteinrichtungen der Werbestrategen weisen den zahlreich erwarteten Fremden den Weg vom Schauhaus zur Neuen Szene. Allein der Kollege mit der Goulaschkanone steht schon Suppe bei Fuß. Es ist kühl, sein Ofen heiß, er ist gut vorbereitet. Die Theaterschlacht kann beginnen. Zwei Stunden später entscheide ich mich für eine Bockwurst. Beim Abbeißen sinniere ich über das durchgestrichene DDR-Logo. Ein Abend zwischen weicher Wurst und deftiger Kapitalismuskritik? Weiterlesen
Über der Kantine des Berliner Ensembles hängt eine großes Spruchband: „Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht. Brecht.“ Brecht ehren – aber wie? Der „große Raucher“ gilt als expliziter Kritiker der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Was die Welt im innersten zusammenhält war für ihn seit den zwanziger Jahren klar: die politische Ökonomie. Der Mensch ist vor allem Ware. „Ich weiß nicht, was ein Mensch ist / Ich kenne nur seinen Preis“ singt der böse Reishändler bei Brecht. Oder die Poesiealbumverse des Bettlerkönigs Peachum aus der »Dreigroschenoper«: „Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben? / Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“ Das private Elend des Menschen als Folge der Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse – das ist der zentrale Konflikt der ‘großen’ Brecht-Stücke, das sind die Motive des „Sezuan“, des „Kreidekreises“, des „Galilei“. Auch der Augsburger Rebell hat seinen Marx gelesen. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. So kennen wir unseren Brecht aus dem Schulbuch. Weiterlesen
Die Messestadt Leipzig zehrt vom Ruhm vergangener Tage: Die Theaterreform der Neuberin – sekundiert vom trockenen Gottsched, die Leipziger Mustermesse – zu Honeckers Zeiten Ost-West-Drehscheibe und Objekt der vielfältigsten ökonomischen Begierden, das Gewandhaus – die Zentrale der musikalischen Hochkultur außerhalb Ostberlins. Und schließlich: der ‘89er Herbst als Hort der friedlichen Revolution. In den Leipziger Montags Demonstrationen schürzt sich denn auch in Leipzig der Knoten wirklichen Ereignens. Nach der Wende versinkt die sächsische Metropole in den Kämpfen und Krämpfen der Existenzsicherung. Es greifen beispielhaft alle Maßnahmen der fiktionalen und spekulativen Wirtschaftspolitik. Leipzig wird zum Banken-Zentrum des Ostens geadelt. Der „Spiegel“ erhebt die mittlere Großstadt in einer Titelgeschichte zur Metropole der Dreißigjährigen. In den Aufbau der Neuen Messe fließen Hunderte Millionen. Allerlei Unternehmensberater erwägen das zukünftige Image der Stadt. Messestadt Leipzig, Kulturstadt Leipzig, Kongreßstadt Leipzig. Spekuklantenstadl. Verwaltung der Stagnation einerseits und hemmungsloser Zweckoptimismus andererseits verdrängen wiederum innovative Impulse. Der Ärger bleibt freilich nicht aus. Der sächsische Rechnungshof weist seinem Gewandhaus unvertretbare Überausgaben nach, die superteure Mustermesse spielt noch lange keine internationale Rolle und auch die Darstellende Kunst erinnert verdammt an Gottsched. Dieser hypertrophierten Durchschnittlichkeit entspricht zu guter letzt auch noch der Mangel an journalistischer Reflexion. BILD und Leipziger Volkszeitung sind die einzigen örtlichen Tageszeitungen, beide aus dem Hause Springer. Weiterlesen
Der deutsche Schlager prosperiert – wenn er seine 20 Jahre auf dem Buckel hat. Schlagerparties allerorten, es trällert in TV und Radio, ob öffentlich-rechtlich oder privat. Die Neunziger sind nicht nur die Jahre des formalen, sondern auch die des emotionalen Recyclings. Die Schlagereuphorie der älteren Jugend ist nichts anderes als das Eingeständnis des ersten Verlustes, die Absage an die Möglichkeit der großen Liebe, an die weiche Eroberung der Welt. Mit ihrer Begeisterung für Udo Jürgens & Co. finden sich die Jungen das erste Mal als Alte, als ihre eigenen Eltern wieder. Auch mit 25 hat man schon reichlich nichtgelebtes Leben angehäuft, das kompensiert sein will. Weiterlesen
“Ich muß jetzt albern sein”, sagt Hamlet zu seinem Freund Horatio, dann drehen sich beide zum Publikum und rufen spitzbübisch “Pause”. Zu diesem Zeitpunkt hat mich schon stille Verzweiflung umfangen. Wer begreift, was hier gespielt wird? Oder besser noch: Warum? Gegeben wird Hamlet. “Klassikerspielzeit” auch im Lindenfels. Doch einfach ist die Sache nicht. Die ‘Sache’ beginnt mit einem Theater gewordenen Programmhefttext. Heiner Müller sagte einmal, man müßte die Toten ausgraben wieder und wieder… Nachzulesen als Inszenierungsmotto im Monatsplan der Schaubühne. Beim großen Schlachten in Helsingör bleibt einer übrig: Horatio, Hamlets Freund. Dieser greift nach Heiner Müllers schwarzen Kleidern und läßt die Schauspieler die blutigen Vorgänge um Dänemarks Geschicke, also »Hamlet«, nachspielen. Müller ist nicht leicht zu verstehen und “Schauspieler sind dumm”, also gibt sich Horatio Mühe und übersetzt die monadische Geschichtsphilosophie fürs Volk: “Laßt uns die Toten ausgraben und befragen, denn sie könnten uns einiges zu sagen haben.” Damit dieser Ansatz der analytischen Nacharbeit des Publikums nicht verlorengeht, ist er im Programmheft festgehalten. Und Nachlesen lohnt sich, weil die Inszenierung Wort hält: Sie schiebt sich durch den Text im Gestus des “ja und dann kam doch noch der…”. Weiterlesen
In Leipzig geht die als „Klassikerspielzeit“ beworbene Inszenierungsfolge in ihre zweite Hälfte. Goethes »Clavigo« steht neben dem neuen Jelinek-Text »Stecken, Stab und Stangl« gefolgt von einer Bearbeitung nach Assi Dayans Spielfilm „Life according to Agfa« wiederum gefolgt von Schillers »Kabale«. Die „Klassikerspielzeit“ bedient Publikumsvorlieben und will sich gleichzeitig Gegenwartsstoffen nicht verschließen. Wer Korrespondenzen und Verbindungen zwischen den Sujets ausmachen will, wird sie allemal finden: In beiden Klassikern scheitert eine junge Liebe an der aromantischen Gegenwelt der Karrieren und des Standesdünkels. Dayan und Jelinek dagegen reflektieren über die Auswüchse der alltäglichen Gewalt der Zivilgesellschaft. Allen kann ein entschlossener Zugriff aufs Material bescheinigt werden. Die Wagnisse freilich sind unterschiedlich. Weiterlesen
„Kurzum, es war ein ekelhafter, widerwärtiger, attraktiver, schweinemäßiger Skandal“ – so rühmt Bulgakow in zielsicheren Attributen die ersten Auswirkungen eines unerhörten Zwischenfalls an den Moskauer Patriarchenteichen zu Zeiten der NÖP (Für alle Jung- oder Westdeutschen: Neue ökonomische Politik). Eines Zwischenfalls der ein Stück Weltliteratur einleitet. Kein geringerer als der Diabolus selbst begibt sich samt Hofstaat in die Hauptstadt der Sowjetrepubliken, um einigen voreiligen Atheisten zu zeigen, wo Gott wohnt. Und da rollen natürlich Köpfe: Ein Literaturtechnokrat gerät unter die Trambahn – und nur weil es der Antichrist vorhergesagt hat, wird er gleich verteufelt. Weiterlesen
Überlegung anhand von Watanabes Handarbeit nach Jelineks Musterbuch: Wird ein Kunstwerk seinem ‘Stoff’ gerecht? Sollte es das, kann es das? Der ‘Anlaß’ für Jelineks Text ist ein ‘heikler’. Die heimtückische Ermordung von vier Roma im österreichischen Oberwart vor zwei Jahren. Stoffe gelten als heikel, wenn sie die spielerische Autonomie der Kunst zu verlassen drohen, wenn die Künstler Gefahr laufen, sich neben ästhetischer auch moralische oder gar juristische Kritik aufzubürden. Indem die Jelinek sich diesem Vorwurf aussetzt, führt sie ihn ad absurdum. Die Autorin entfaltet aus diesem Mord ein Psychogramm der denkfaulen, biederen Wohlstandsgesellschaft. Sie legt auf das Intelligenteste offen, wie Fremdenverkehr und Fremdenfeinlichkeit, Apathie und Fernsehhysterie zusammengehen und sich bedingen. Vorauseilender inszenatorischer Gehorsam könnte freilich diese erhellenden Zuspitzungen allemal zuschanden machen. Eine politisch korrekte, kein Schamgefühl verletzende, ausgewogene, hohlwangige Inszenierung wäre das Ende der Jelineksschen Bemühung um groteske Deutlichkeit. Weiterlesen
Es gibt so Traumberufe. Kosmonaut wollten viele mal werden – oder wenigstens Flugzeugkapitän. Später dann zum Schreck der Eltern: Schauspieler. Raus aus dem Alltag, der Ruhm wartet nicht. Und schon beginnen die Probleme, denn: Es darf nicht jeder. Vor den Preis hat der Herr den Schweiß gesetzt. Und das heißt in Deutschland in aller Regel: Die Ausbildung an einer der 19 von der öffentlichen Hand betriebenen Schauspielschulen mit dem Diplom abzuschließen. Weiterlesen
Nieselregen fällt auf den unwirtlichen Hof der Kulturfabrik Werk II. Die Kneipe hat aus innerbetrieblichen Gründen geschlossen. Kalt ist es sowieso. Trotzdem sammeln sich knapp hundert Leute zu den Highlights des MANöVERS. Dem Veranstalter fällt ein Stein vom Herzen. Wer kennt in Leipzig schon Stefan Pucher, wer besucht schon deutsch-griechische Koproduktionen in englischer Sprache. Missionarsarbeit Jahr für Jahr. Der Unterschied zur euro-scene liegt auf der Hand: Freies Theater in der Sicht des Büros für Off-Theater hat zu tun mit einem fortwährenden Beginnen und Besetzen, fühlt sich dem Kämpfen, Wagen und Verlieren mehr verbunden als dem ruhigen, selbstsicheren Gestalten. Das kostet Nerven und jede Menge Zeit. Wohin mit diesem Theater in Leipzig, wenn das jährliche MANöVER vorbei ist. Diese Frage ist aus Mangel an lokalen Künstlern diesen Schlags (noch) aufzuschieben. Wo sind die heimischen Produktionen, die dem Zuschauer Schauer über den Rücken jagen oder ihm auf groteskeste Art und Weise gründlich zu denken geben? Arbeit für morgen. Fürs MANöVER ’97 kündigt das Büro wieder Produktionen aus den Randzonen Mitteleuropas an. Freies Theater der Region Macedonia. Arbeiten aus den ‚Nationalstaaten‘ Bulgarien, Mazedonien und Griechenland eröffnen Schauplätze der Zwiesprache und Rivalität. Denn Veränderung beginnt immer an den Rändern der Systeme.
Peter Rost
(KREUZER, Dez. 1996)
Bürfo für Off-Theater | www.bfot.de
Warum eigentlich »Richard III.«? Klassikerspielzeit, na gut. Aber Shakespeare hat vieles geschrieben. Warum also die Geschichte des ungeheuerlichen Machtmenschen, des blutigsten Intriganten der Weltliteratur. Die Inszenierung, so war man sich in Leipzig sicher, wird’s erweisen. Hatte Engel doch mit seinem famosen Wiener »Titus« bewiesen, daß er noch der aggressivsten Motorik des Mordens Emotion und Motivation zuordnen kann. Phönix flieg! Das Bodenpersonal zittert mit. Weiterlesen
In Fortsetzung der Performance-Tradition der Schaubühne wird das Publikum in die Unterbühne gebeten. Erste Wahrnehmung: der modrige Geruch feuchter Altbaukeller. Eine leise Stimme. Englisch, später Deutsch, auch Französisch. Groteskes mechanisches Spielzeug, sehenswert. Konversation dreier Taschenlampen – dreisprachig. Ein Huhn wird zubereitet; scharf angebraten, mit reichlich Rotwein abgelöscht. Zäsur per Geruchswechsel. Von einem Dinner sprachen auch die drei Figuren schon. Arrangiert für eine gerade 18 jährige. Belauert von ihren abgelebten Eltern zieht, als noch der Moder den Raum beherrscht, latenter Erotismus durchs Gemäuer. Lulu Faber, David Jeker und Anka Baier artikulieren ihre Böswilligkeiten auf höchstem Niveau – it sounds good. Dann ein Bruch – Szenen/Ebenen/Blickwechsel. Andere Namen – anderes Personal; ein Text, vielleicht von Carrington, verselbständigt sich: Aus einem Buch seitenweise herausgelesen drängen Figuren ins Bild. Weiterlesen