Witzigkeit als Sackgasse

Ödon von Horvaths »Kasimir und Karoline« am Schauspiel Leipzig

„Weil der Mensch ein Mensch ist – braucht er was zu Fressen, bitte sehr“. Kann man daran vielleicht was ändern? Der Veränderer Brecht geistert in Horváths Stück als intellektueller Eugen durchs Oktoberfestgeschehen. Wenn er seiner neuen Bekanntschaft Karoline einflüstert, daß die allgemeine Krise und das Private auf unheilvolle Weise miteinander verknüpft seien, herrscht sie ihn an: „Geh, redens doch nicht so geschwollen daher.“ Und was tut sie, die gute Seele: Sie kauft sich noch ein Eis. Horváth hat geahnt, daß mit dem Proletariat keine Revolution zu machen ist. Denn aus Ärger wird bei Horváth nicht Wut, sondern Stille.

Kasimir und Karoline sind ein Paar – und auch keins. Er hat seine Stelle verloren, „ist abgebaut“. Zwei drei verbitterte Worte reichen hin und Karoline sucht sich anderswo ihren Spaß. Trifft auf jenen verzwickten Eugen, der es sich wiederum gefallen lassen muß, seine frische Bekanntschaft an seinen Brötchengeber, Kommerzienrat Rauch abzutreten. Der fortschreitende Abend auf der Wiesn zwingt den alten Herren gesundheitlich in die Knie. Karoline, deren Ausblick in die „rosigere Zukunft“ damit vorm Anfang beendet ist, dient sich unter diesen mißlichen Umständen wieder dem pragmatischen Eugen an. Derweil ist das gedemütigte Anhängsel vom Franz, einem Kleinkriminellen, die Erna, für den Kasimir freigeworden. Ein Taumeln, ein Reigen der Beliebigkeit. Weil der Mensch ein Mensch ist… kann er nicht alleine sein. Und jeder ist der Richtige, wenn er uns nur die Leere vom Leib hält. Mit großen Augen staunen die Figuren auf eine Riesenleinwand, auf der sich das Zelluloidglück häuft. Küsse in endlosen Schleifen – Kino ist das Größte. Sekundiert wird die Optik durch die letzte ungebrochen-emotionale Gebärde der Popkultur – die Rockmusik der Siebziger. Deep Purples »Child in time« meint noch, was es sagt. Das ist nicht wahnsinnig originell, das wurde schon häufiger gemacht, aber es klappt, funktioniert und paßt. Und plötzlich schleudert Erna eine Handtaschenladung vollgeheulter Taschentücher gegen die unerreichbaren Helden. Da braucht es keine Worte.

Doch zwischen diesen Szenen muß gespielt werden. Isabel Schosnig ist Karoline, die kleine junge Frau, die sich ihre Sätze, ihr Wollen nimmt, wie es daherkommt und sagt und tut. Sie muß dieses haltlose Hoffen nicht groß spielen, sie trifft. Christoph Hohmann ist ihr Kasimir; er arbeitet seine Figur wie in Stein, kaum eine Koketterie läßt er sich durchgehen, ein Spröder, aber doch ein starker Mensch. Susanne Böwes Erna schließt hier an. Die Schauspielerin kann freilich mehr tragen, als ihr aufgetragen wird. Dirk Audehm als Landgerichtsrat Speer mit angenagelter Frisur und angenagelten Armen und Günter Schoßböck als jener Eugen mit hippeligem Sprachfehler werden auf Witzigkeit getrimmt und damit auf die Dauer unterfordert.

Horváth wollte die bodenlose Entmutigung seiner Figuren durch Humor gemildert sehen. Doch was im ersten Teil des Abends noch als legitimer Abglanz des Fröhlichen im Elend funktioniert und am Platz ist, verselbständigt sich nach der Pause. Obskure Blaskapellen, Konservenmusik (nun auch ohne Kino) und lauthals aggressive Stimmen arbeiten gegen die sensible Mechanik des Stückes. Denn die will, dass die aufgeschriebene „Stille“ die kargen Rätselsätze der Figuren weiterdenkt. Man mag dies für eine Horváthsche Marotte halten, doch der Teufel der Witzigkeit, nun im Verein mit Lautstärke und dem unbedingten Willen zum eindringlichen Bild, verkleinert die Figuren. Ihre Einsamkeit versinkt in angestrengter szenischer Banalität und einem abgelagerten Volksbühnen-Gag. Erst am Ende des Abends, wenn ein kleines Lied gesungen wird, zeigt sich wieder die Kraft der Sprache, der Schmerz der Figuren – und der Sinn des Stückes.

Stefan Kanis (KREUZER, Dez 1999)

Schauspiel Leipzig | »Kasimir und Karoline« von Ödon von Horvath | Premiere: 30.10.99 | Regie: Michael Thalheimer | www.schauspiel-leipzig.de

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