Über den Wolken?

Studenten am Leipziger Schauspiel

Es gibt so Traumberufe. Kosmonaut wollten viele mal werden – oder wenigstens Flugzeugkapitän. Später dann zum Schreck der Eltern: Schauspieler. Raus aus dem Alltag, der Ruhm wartet nicht. Und schon beginnen die Probleme, denn: Es darf nicht jeder. Vor den Preis hat der Herr den Schweiß gesetzt. Und das heißt in Deutschland in aller Regel: Die Ausbildung an einer der 19 von der öffentlichen Hand betriebenen Schauspielschulen mit dem Diplom abzuschließen.

Schon die Aufnahme kommt einer Initiation gleich. 1000 zukünftige Gretchen und Hamlets bewerben sich in Leipzig um 20 (!) Studienplätze. Dabeisein ist fast schon alles. Die folgenden zwei Jahre verbringen die angehenden Mimen faktisch pausenlos in der Schule. Danach geht es fürs Hauptstudium ans Theater. Das ist nur logisch – in Leipzig legt man Wert auf die professionelle Ausbildung des schauspielerischen Handwerks, ausgerichtet auf die kontinuierliche Arbeit in einem ‘klassischen’ Ensemble.

Die Studenten wissen das zu schätzen. Benedikt Schörnig gehört zum dritten Studienjahr, zum Leipziger Schauspielstudio. „Ich darf lernen, ich darf Mist bauen – unter professionellen Bedingungen.“ Auch für seinen Kommilitonen Miguel ein logischer Ablauf: auf zwei Jahre hartes Training und Schulung folge im Studio ein notwendiger Schub Ausgelassenheit und Unwillkürlichkeit: Eine Probenanweisung wie „Geh’ einfach mal als Mensch über die Bühne“ habe man lange nicht mehr gehört. Die Stärke der Leipziger Schule sei ihre solide Konzeptionalität, die totale Ermunterung und den ungewöhnlichen Weg solle man hier jedoch nicht suchen.

Der Chef der Schule, Prof. Bernd Guhr, sieht das ähnlich, bekennt sich zum ‘Traditionalismus’ der Leipziger Ausbildung. Theaterspiel aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Prozessen zu entwickeln, das bestimme auch im Jahre sieben nach der Wende das Lehrprofil. Ja durchaus, Selbsterfahrung und -entfaltung stünden im Ausbildungskonzept nicht vornan. Guhr hat die Leitung des Studienganges 1992 übernommen. Die Arbeit sei jedoch schwieriger geworden, seit ’79, als er in Leipzig anfing. Die Auflösung der ehemals selbständigen Theaterhochschule, die Angliederung des Schauspielstudiums an die ungleich größere Musikhochschule behindere die Arbeit der Fachrichtung in ungekanntem Maße. Die Hochschulleitung stelle fortwährend Unkenntnis und Unverständnis der Schauspielausbildung unter Beweis. Zur Zeit kämpft der Professor gegen die völlig unnötige Aufgabe der Theatervillen im Musikerviertel. Würde die intensive Grundlagenarbeit weiter beschnitten, sei auch die freiere Arbeit an den Studios nicht mehr möglich, die Akzeptanz der Studenten an den Theatern gefährdet.

Für die Studiostudenten rückt die Zeit am Clara-Zetkin-Park nun schon in den Hintergrund. Der Alltag des Theaters wird erkundet, die erste geschlossene Inszenierung erarbeitet. Am 31. Januar wird Goethes »Clavigo« Premiere haben. Alle sind heilfroh, daß der Regisseur der Wolfgang Engel heißt. Obwohl sie nur zwei kleine Rollen zu spielen habe, spüre sie die Genauigkeit, mit der Engel die Probenangebote der Darsteller aufnehme und bewerte, beschreibt Angela Sandritter. Den Zugang zu der ‘alten’ Sprache müsse jeder Akteur bei sich finden, an Aktualität sei dem Intendanten schon genug, daß junge Schauspieler die Figuren für sich öffnen und ins Leben setzen. Das vermissen alle drei im Leipziger Theater allzu häufig. Schörnig allgemeiner: „Es gibt ‘ne Menge Regisseure, die auf die Bühne kotzen – wer’s weg macht ist egal.“ Miguel Abrantes Ostrowski ist vieles zu düster, kann die Reaktionen des Publikums verstehen: „Ich würde auch nicht sehen wollen wie einer in der Neuen Szene ein Glas Samen oder Pisse drinkt.“ Mitstudentin Sandritter kritisiert das Marketing, schon die Schaukästen seien eine Zumutung. Die jungen Kollegen wissen, was sie wollen und was sie stört.

Ihr »Clavigo« wird in den Schaufenstern der Bosestraße auftauchen, ob sie wollen oder nicht. Ob er sich durchsetzt, liegt letzlich an ihnen. Schörnig mit feinem Lächeln: „Auch wenn ein Mann wie Engel schlechte Schauspieler vor sich hat, wird nicht viel bei rauskommen.“

Stefan Kanis (KREUZER, Jan 1997)

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