Schlagwort-Archive: Kazuko Watanabe
Schattierungen der Tradition
In Leipzig geht die als „Klassikerspielzeit“ beworbene Inszenierungsfolge in ihre zweite Hälfte. Goethes »Clavigo« steht neben dem neuen Jelinek-Text »Stecken, Stab und Stangl« gefolgt von einer Bearbeitung nach Assi Dayans Spielfilm „Life according to Agfa« wiederum gefolgt von Schillers »Kabale«. Die „Klassikerspielzeit“ bedient Publikumsvorlieben und will sich gleichzeitig Gegenwartsstoffen nicht verschließen. Wer Korrespondenzen und Verbindungen zwischen den Sujets ausmachen will, wird sie allemal finden: In beiden Klassikern scheitert eine junge Liebe an der aromantischen Gegenwelt der Karrieren und des Standesdünkels. Dayan und Jelinek dagegen reflektieren über die Auswüchse der alltäglichen Gewalt der Zivilgesellschaft. Allen kann ein entschlossener Zugriff aufs Material bescheinigt werden. Die Wagnisse freilich sind unterschiedlich. Weiterlesen
Wesen bitte nicht schleudern
:Kazuko Watanabe inszeniert »Stecken, Stab und Stangerl« von Elfriede Jelinek:
Überlegung anhand von Watanabes Handarbeit nach Jelineks Musterbuch: Wird ein Kunstwerk seinem ‘Stoff’ gerecht? Sollte es das, kann es das? Der ‘Anlaß’ für Jelineks Text ist ein ‘heikler’. Die heimtückische Ermordung von vier Roma im österreichischen Oberwart vor zwei Jahren. Stoffe gelten als heikel, wenn sie die spielerische Autonomie der Kunst zu verlassen drohen, wenn die Künstler Gefahr laufen, sich neben ästhetischer auch moralische oder gar juristische Kritik aufzubürden. Indem die Jelinek sich diesem Vorwurf aussetzt, führt sie ihn ad absurdum. Die Autorin entfaltet aus diesem Mord ein Psychogramm der denkfaulen, biederen Wohlstandsgesellschaft. Sie legt auf das Intelligenteste offen, wie Fremdenverkehr und Fremdenfeinlichkeit, Apathie und Fernsehhysterie zusammengehen und sich bedingen. Vorauseilender inszenatorischer Gehorsam könnte freilich diese erhellenden Zuspitzungen allemal zuschanden machen. Eine politisch korrekte, kein Schamgefühl verletzende, ausgewogene, hohlwangige Inszenierung wäre das Ende der Jelineksschen Bemühung um groteske Deutlichkeit. Weiterlesen