Die 9. »euro-scene« vom 2. bis 7. November in Leipzig
Nun ist es doch noch mehr Geld geworden, als erwartet. Festivaldirektorin Ann-Elisabeth Wolff lächelt herzlich. Sie ist sich keiner Schuld bewußt. Mit einer Geste und einem Seufzer ordnet sie diese endlosen Kämpfe um die Fördergelder kurzerhand dem notwendigen Alltag zu. Darüber mehr Worte zu verlieren, hieße Aufmerksamkeit von denen abzuziehen, für die sie auf der Welt zu sein scheint: ihre Künstler. Ohne dieses Engagement – das kann als sicher gelten – wäre das Festival im kulturpolitischen Strudel längst untergegangen. Kulturdezernent Giradet attestiert auf der Pressekonferenz im Partnerhotel denn auch “fabelhaften Spürsinn” und “große Kennerschaft”. Er zögert nicht, von einer “stabilen Situation” zu sprechen. Die Stadt bestreitet mit 250000 Mark ein knappes Drittel des Festival-Budgets. Möglich, dass Leipzigs Kulturpolitik die signifikanten Unterschiede zwischen artifiziellen Renommierprojekten und anspruchsvollen kulturellen Mesalliancen (zu denen die »euro scene« vorstößt) bemerkt und zunehmend bedenkt.
Es geht um Inhalte, um Kommunikationsformen, um Zukunftsfähigkeit. Mit der Förderung der »euro-scene« tritt die Stadt als Dienstleister für ihre Einwohner auf, wissend, dass jedes brauchbare, gut konturierte Angebot seine eigene Nachfrage produziert und damit lebendige Stadtkultur herstellt. Die 9. »euro-scene« verfolgt entsprechende Wege. Die Zahlen sprechen zuallererst von quantitativer Expansion: 15 Tanz- und Theaterproduktionen aus acht Ländern. Dazu ein prall gefülltes Rahmenprogramm und ein Festival-Prolog. Die sechs Veranstaltungstage zwischen dem 2. und 7. November beinhalten ein enormes Pensum. Aus der Vielfalt spricht die liebenswerte Sucht, im Kompaktformat soviel wie nur irgend möglich von jenen aufregenden Dingen zu zeigen, die an anderen Orten Spielpläne prägen. Doch die Sucht diszipliniert sich selbst, sie schafft Schwerpunkte. Die Betonung liegt auf der Mehrzahl. Die 9. »euro-scene« unterbreitet ein lokales, ein thematisches und ästhetisches Spezialprogramm. Ausgehend von einem seit Jahren genährten Wunsch, die Arbeiten der französischen Choreographin Maguy Marin zeigen zu können, führte der Weg nach Lyon, und gibt mit vier Inszenierungen einen Einblick in theatralen Sprachformen der Partnerstadt. Die thematische Verortung spürt einem archetypischen Motiv nach – dem Salome-Mythos. Eine Doppelvorstellung in beiden Sälen der Schaubühne im Lindenfels bringt die hochästhetische Inszenierung der dänischen »Compagnie Von Heiduck« in Dialog mit der »Salomé 7« überschriebenen Körper-Video-Performance von Lindy Annis, einer in Berlin lebenden Amerikanerin.
Die in konzeptioneller Hinsicht spannendste Entwicklung verbirgt sich wohl hinter dem dritten Schwerpunkt. Mit dem Terminus »Live Art« wird ein äußerst vielfältiges, changierendes Prinzip theatraler Wirkung benannt, dass sich schlichtweg zur Aufgabe macht, das, was Leben kennzeichnet, fürs Theater zu retten. Das Zusammenspiel von zufälligen Abläufen, die Wirkung eines Ganges, die Magie einer kehligen Stimme, die Aura eines Körpers gerade soweit zu ordnen und zu organisieren, dass sich Blickzentren und Konstellationen seltener Wahrheit und Klarheit ergeben. Hier kristallisiert sich Urbanität, hier spiegelt sich das Lebensgefühl jener jüngeren Generation, die gelernt hat, sich zur Verfügung zu halten, die von Lebensplänen nicht sprechen kann und will. Und die auch gelernt hat, sich in diesen flexiblen Systemen ohne Schmerz zu bewegen. Neben der Lektion in korrektem DJing, die eine Schweizer Crew um Dominique Rust aus einer Lektüre der Surrealisten entwickelt, gibt es ein Wiedersehen mit dem Hildesheimer »Theater Mahagoni«. Die Gruppe, dank des »Manövers« (siehe Kasten) in Leipzig bereits bestens eingeführt, zeigt »Bad Actors«, eine Koproduktion mit dem griechischen Notos Theater. Worum geht es in »Bad actors«? Worum geht es auf der Welt? Um den Alltag und um schlechtes Schauspiel(en).
In Hinblick auf das politische Theater – bei Erscheinen dieses Heftes wird es in Form der Landtagswahlen gerade wieder über uns niedergegangen sein – ist es am Zuschauer, sich zu verhalten. Ann-Elisabeth Wolff wird lächeln und aus gegebenem Anlaß vielleicht nicht davon sprechen, eine Gegenöffentlichkeit zu befördern; dieser Anspruch aber markiert – so oder so – die Grenze zwischen Dekoration und Mitarbeit an dem, was kommen wird.
(KREUZER, Nov 1999)
»euro-scene« Leipzig | www.euro-scene.de