MANöVER ’96 – Festival des Freien Theaters in Leipzig
Keine Jahresvorschau eines Stadttheaters ohne die Verpflichtung, am Puls der Zeit sein zu wollen: Kaum ein Haus, daß je sein Versprechen eingelöst hätte. Man müht sich, doch die alten Helden taugen kaum. Ihr moralischen Nöte sind ehrenhaft; sobald sie aber von ‘der Welt’ reden wollen, schrumpfen sie die Vielfältigkeit unserer Mutter Erde auf ein paar emotionalisierte Sinnsprüche. Wahrheit und Lüge einer Theatervorstellung entstehen heute nicht mehr aus Gesinnung und Begabung eines Autors, sie wachsen aus den kreativen Interessen der Performer und Regisseure. Aus einem Werbespot, einer Lieblings-LP, ein paar gefundenen Briefen zaubern Theaterleute von heute ihre Inseln der Gerechtigkeit, ihre moralischen Tribunale. Weil sie von sich sprechen, bleiben sie glaubwürdig.
Das MANöVER – Festival ist dieser Kunst verpflichtet. Die diesjährige Ausgabe akzentuiert die Reaktion der Macher auf den Umweltfaktor Nummer eins: Die Medien. »Althusser Rock«, die deutsch-griechische Koproduktion der Theater Mahagoni/Diplous Eros, vollzieht souverän, suggestiv und live die Brechung des Politischen in der Massenkultur, der Rockmusik – ein Lehrstück in Sachen Kultur/Politik. Hans-Jochen Menzel war bereits Gast des ’94er Festivals. Wie er das deutsche Elend im grotesken Holz seiner Puppen versenkt ist schulbildend. Auf sein ‘Kriminalstück’ »Der weiße Hammer« darf man im doppelten Sinne gespannt sein. Die Produktion des Frankfurter TAT, »Zombie«, sei in ihrer dezenten Aggressivität ebenfalls allen musikalisch Interessierten ans Herz gelegt.
Vom 17. bis 20. Oktober zeigt das kleine Festival sechs Varianten unseres Alltags. Wer genügend Zeit und Interesse für Minderheiten aufbringt, gönne sich den gesamten Parcours und ziehe eigene Verbindungen.
Peter Rost
(KREUZER, Okt. 1996)
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