Ein Rede. Gehalten zur Ausstellungseröffnung THEATERPLAKATE von Thomas M. Müller in der »moritzbastei« Leipzig am 01.Juli 2009
1. Banner des Augenblicks
Es käme nicht unbedingt aufs Gewinnen an, aber eine genauere Prüfung wäre es wert: Es ist gut möglich, dass kein Grafiker für ein und dieselbe Bühne Leipzigs, die Städtischen eingeschlossen, mehr Plakate gezeichnet hat, als Thomas Müller für die INSELbühne. (Es dürften knapp 40 sein). In einem Programmheft der INSELbühne, natürlich gestaltet von Thomas Müller, räsonierte vor einigen Jahren ein Denker über die unsinnliche (und unsinnige) Bevorzugung, die die Tiefe vor die Oberfläche stellt. Das sei wenig nachvollziehbar, schließlich erlebten wir täglich die Oberfläche der Dinge; oberflächlich solle man doch bitte auch begreifen: als von erheblicher Ausdehnung und nicht etwa als von geringer Tiefe. Nun denke ich, und das ist der Bogen, für einen wie Müller, der sich künstlerisch in zwei Dimensionen verwirklicht, ist die Ausdehnung ein reizvolles Ding. Und heute, anlässlich des nicht ganz runden Jubiläums kommt noch eine weitere Ausdehnung hinzu. Die Zeit. Meine These: Grafiker haben zu Jubiläen ein entspanntes Verhältnis. Den Wert, das Ergebnis, den Nachhall dieser vergangenen Zeit müssen sie nicht wie etwa ein Schriftsteller als bedeutsam oder überhaupt dagewesen ausweisen, sie müssen keine Tiefe erzeugen. Was sie und die Zeit hergestellt haben, hängt einfach an der Wand. Das Geschehene wird ohne weiteres Behaupten deutlich. Wie nochmals entrollte Banner künden die Plakate vom Wert des auf den Moment gerichteten Engagements, vom Nutzen der Verschwendung, die Theater glücklicherweise bedeuten kann.
2. Geschichten aus der Produktion
Wenn zwei Partner gut zwanzig Jahre zusammenarbeiten, dann gibt einem der Sarkasmus des Alltags fast blind die Formulierung vom auf Gedeih und Verderb ein. Während im Kessel der Produktionsmaschine oft dunkle Zwänge walten, sind es die dankswerten Außenstehenden, die Liebhaber, die, notgedrungen auf die Oberfläche der Dinge angewiesen, im vorliegenden Werk stets das Wohl bestaunen, weil sie das Wehe nicht kennen.
Dass im Werk stets nur die Überschreitung des Kleinlichen, mithin der stillgestellte Widerspruch zwischen Auftrag und Ergebnis, Konzept und Ertrag, Gedanke und Papier uns entgegentritt, zählt ja zu den tröstlichsten Dingen, die das Sein zu bieten hat.
Der Bilderrahmen ist das Basta der Kunst.
Vergessen sind mithin alle Verwerfungen, die zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer walten. Vielfach wurde darüber nachgedacht, selbst einmal ein Stück darüber zumachen, wie sich Volker Insel über einen Entwurf des Thomas Müller beugt und in reduziertem Schweigen sich zur Frage äußert, ob die Widererkennbarkeit der Darsteller, so sie auf dem Plakat auftauchen, nicht noch verbessert werden könnte.
Dies und die dann oft ans Unwirsche grenzenden Erwiderungen des Thomas Müller sollten von einem zweiten Thomas Bernhard in einem Dramolett aufgeschrieben werden, das zu einem beliebigen zukünftigen Jubiläum der INSELbühne aufgeführt gehörte.
Diese Auseinandersetzungen sind notwendig, doch das Problem liegt tiefer. Plakatkunst, so heißt es, ist angewandte Kunst, keine bildende. Sie darf sich nichts einbilden. Das ist bekannt und unstrittig. Nun das Theater. Manchen mag überraschen, dass auch Theater eine angewandte Kunst ist. Sie bildet auch nicht, sie stellt dar. Nur was? Den Willen des Volker Insel? Eine Frage, zu deren Beantwortung ich nicht in Thomas Müllers Haut stecken möchte. Das ist der Kern des Problems. Der Grafiker Müller ist der Seelenexeget des Volker Insel. Ich bitte Sie, sich die Situation zu vergegenwärtigen. Sie ist diffizil. Das Plakat geht in den Druck, zu einem Zeitpunkt, da Volker Insel wohl eine selbstbildnerische Vorstellung von der endgültigen Darstellung auf der Bühne mit sich herumträgt, aber aus jahrelanger Praxis weiß, dass die Fülle der Unzulänglichkeiten, in aller Regel sind das die Darsteller, ihn zu ganz anderen und unbekannten Ufern treiben. Und das sind keine Sonnenstrände.
In einem solchen Zustand von antizipiertem Unbehagen tritt nun der Regisseur Insel zu einer ersten Unterredung ins Atelier des Grafikers Müller. Der erste Satz gilt dem Budget. Überraschend knapp ist es, wer hätte das gedacht. Und nun leistet Freundschaft, was nur Freundschaft kann: Der Grafiker Müller sondert die Spreu vom Weizen, sieht mehr als der verdüsterte Insel, wird zum Seher, schlägt hier zu und vermindert da, im Hinterkopf spukt dunkel die Rede des Insel – und es ist eine Art Alchemie. Am Ende kommt heraus, was dem Theaterabend entspricht.
Zwischen bildender, darstellender und angewandter Kunst spannt sich ein Bermudadreieck, das nur den beiden bekannt ist, und in dem ihr Humor begraben liegt.
3. Initiation
Es war Anfang der Neunziger Jahre, die Wende-Zeit, als Thomas Müller der Hoffnung anhing, die Welt könne sich in einem immerwährenden schamozierenden Unfug auflösen. Die frühen Arbeiten der INSELbühne zeigten vor, dass alles gelänge, wenn nichts gelingt. Alles und nichts – statt oder. Die Kühnheit dieser Behauptung ist im Logo der INSELbühne Gestalt geworden. Das Bild dieses modernen Hanswursts gehört zu den dauerhaftesten und kraftvollsten Zeichen, die mir seither begegnet sind. Ich schaue stets mit Respekt und Ehrfurcht auf die freundlich gebleckten Zähne.
(Ein Rede. Gehalten zur Ausstellungseröffnung THEATERPLAKATE von Thomas M. Müller in der »moritzbastei« Leipzig am 01.Juli 2009. Aus Anlass des 20jährigen Bestehens der INSELbühne Leipzig)