Miriam Pfeiffer betreibt die Kinobar Prager Frühling mit sensibler Entschlossenheit
„Ich bin ja wirklich fleißig“, sagt die Kinochefin und verstaut noch ein paar Becks im Kühlschrank. Wir sprechen schon seit drei Minuten, aber das Bier soll noch ins Kühle. Sie wird noch darauf zurückkommen, wie befriedigend es ist, alles selbst machen zu können. Nicht zu müssen, sondern zu können. Wirtschaftliche Selbstständigkeit, fügt sie an, hat genau damit zu tun: Man kann bestimmen, ist die eigene Frau im Haus, muss aber, wenn es hart auf hart kommt, auch alles selbst machen. Die zwei Seiten gehören zusammen und machen – zusammen – den Spaß aus. Und irgendwann, wenn der Laden läuft, beginnt man loszulassen. Muss nicht jeden Film vorführen, nicht jede Karte selbst verkaufen, hat mehr Zeit fürs Programm.
Miriam Pfeiffer ist ihr Kino. Sie hat die Kinobar acht Jahre als Angestellte der Schaubühne Lindenfels geleitet, mit viel Freiraum zwar, aber doch nicht ohne Vorgaben. Keine schlechte Zeit, aber die neue, die im April 2006 begann, ist die bessere. Die Schaubühne will ihren Geschäftbetrieb konzentrieren und sucht Käufer für ihre beiden Filmspielstätten. Den Satelliten zwischen Südvorstadt und Connewitz übernimmt Miriam Pfeiffer. Das Geld wird in der Familie geliehen, ihre Freundin gibt etwas hinzu. Es ist nicht das erste wirtschaftliche Risiko, das sie eingeht. Fünf Jahre zuvor, da ist sie 27 Jahre alt, dreht sie mit René Reinhardt den abendfüllenden Spielfilm „Das Monstrum“. Eine krude Geschichte, über den Verkauf des Völkerschlachtdenkmals. Keine Jugendsünde, aber doch nichts worüber sie heute noch viele Worte verliert. Ein paar Kinoeinsätze und eine Ausstrahlung beim MDR spielen die Produktionskosten geradeso wieder ein. Lehrgeld nennt sie es nicht, es war eine richtige Entscheidung, damals – aber die Liebe zum Selbermachen ist so gewachsen, dass sie heute ihre Existenz nicht leichtfertig auf Spiel setzen würde.
Das Bier ist im Kühlschrank, wir setzen uns in die letzte Reihe. 67 Plätze zählt das Kino. Ein Klubkino, ein Kinokabinett. Blauer Stoff an den Wänden, sieben Sitzreihen, die Eingangstür führt direkt in den Saal. Keine Frage, man fühlt sich wohl hier. Im Kino an der Ecke lebt der Geist des Programms, die Kraft der Auswahl, wer braucht da noch die großen Multiplexkinos. Auf solche Schwarzweißmalerei reagiert sie verhalten, winkt sogar ab. Sie ist Filmjunkie, könnte sich gut ein weiteres Großkino im Zentrum vorstellen. Natürlich, ihrem Publikum wäre ein weiterer Multiplex herzlich einerlei. Sie spürt Rückenwind für das Raumkonzept und ihr Programm. Ganz unmittelbar. Am Silvesterabend zeigte sie den neuen Woody Allen. Ein älteres Paar lobt das Haus, bedankt sich für die Filme des letzten Jahres und freut sich auf das kommende. Einsatz schafft Vertrauen, über die Jahre wächst die Beziehung zum Publikum. Die Essenz könnte lauten: Nicht alles, was mein Kino an der Ecke zeigt, interessiert mich, aber es ist gerade deshalb mein Kino. Auch Dinge ablehnen zu können, ist wichtig. Das Publikum sollte das Gefühl haben, ihr Kino zeige einen stimmigen Ausschnitt des gesamten Arthouse-Repertoires. Es kostet Miriam Pfeiffer erstaunlich wenig Überwindung, auch Filme zu spielen, die ihr nicht gefallen. Sie weiß, dass ihr Publikum sie sehen möchte – und das zählt letztlich.
Miriam Pfeiffer ist ein DDR-Theaterkind. Der Vater, Hermann Schein, ist Regisseur, arbeitet in Frankfurt/Oder, später am Theater der Freundschaft in Berlin. Die Wohnung in Leipzig ist bald nur noch Basislager. Die Wochenenden verbringt sie in der Hauptstadt. Theater, Theater und nochmals Theater. Corinna Harfouchs Solo in Lothar Trolles „Das Kind“ habe sie in einer Berliner Kammerbühne in dieser Zeit, den mittleren Achtziger Jahren, womöglich 10 Mal gesehen; dazu etliche Vorstellungen am Berliner Ensemble, der Volksbühne. An den bestürzend beeindruckenden Arno Wyzniewski erinnert sie sich, an Hermann Beyer und – natürlich immer wieder das Spiel der Corinna Harfouch. Seit diesen Tagen ist sie mit ihr eng befreundet.
Was ist das Faszinierende am Kino? Sie macht keine großen Worte, spricht nicht gelehrt über Filme oder Regisseure. Hört man ihr länger zu, schälen sich Schlüsselworte heraus. Emotionalität ist ein Gradmesser, der Gelungenes von Überflüssigem trennt. Wahrhaftigkeit. Das sind die Geschenke, die ihr das Berliner Theater gemacht haben. Der Freiraum, auch das andere Zeit- und Sittenmaß, das die Theatergemeinde prägte, die Anklänge von Boheme; sie weiß, was sie dieser zweiten Welt an Charakterbildung zu verdanken hat. Die Berufswahl fällt dann in die Wendezeit, Schauspielerin kann sie nicht werden, ihre Stimmbänder halten die Belastung nicht aus. Das erfährt sie noch in der DDR. Sie beginnt eine Schwesternausbildung, eher aus Not als aus Berufung. Die währt nicht lange, sie wird relegiert, Renitenz gegenüber der Leitungsebene. Wenige Wochen später ist es mit der DDR auch schon vorbei. Sie macht das Abitur und zieht nach Berlin. Die Welt ist nun offen. Gänzlich offen. Das Kino bringt die Großen der Zunft in die Nähe, das Theater hat sie leergesehen, es beginnt sich auch zu wiederholen. Film wird von Monat zu Monat mehr zum wahren Leben. Sie jobbt in einer Pizzeria und geht an guten Tagen vier Mal ins Kino. Sie sieht komplette Hitchcock-Reihen, entdeckt den Ernst von Charlie Chaplin neu. So wird es Frühjahr 1997. Die Schaubühne eröffnet ihre Dependance im Leipziger Süden, Heike Graßhoff, damals Kinochefin an der Karl-Heine-Straße, bietet ihr die Leitung der Kinobar an. Miriam Pfeiffer sagt sofort zu.
67 Plätze sind es seither geblieben. Aber das ist schon so gut wie alles. Begonnen hat die Kinobar als Arthouse-Nachspielkino: Die Verleiher überlassen den Kleinen ihre Filme gegen eine geringere Garantiesumme zur Zweitauswertung. Ein leidliches Überlebenskonzept für Nischenkinos. Doch das ist vorbei. Heute zeigt Miriam Pfeiffer neben den Arthouse-Highlights manchmal vier Premieren im Monat, spielt Originalfassungen, beteiligt sich an Reihen; vor kurzem erst das exklusive „US & British Independent Cinema“ zusammen mit der Cinémathèque Leipzig. Sie spielt seit letztem Jahr auch nachmittags – und am Wochenende ein Kinderprogramm.
Warum das so ist? Sie weiß darauf umgehend einige Antworten. Eine der ungewöhnlicheren: „Weil ich meine Rechnungen bezahle.“ Die Verleiher registrierten sehr genau beides: Welchen Stellenwert hat ein Haus in der Stadt? Und: Ist es ein seriöser Partner? Die Kinochefin Pfeiffer ist eine Geschäftsfrau, und hat es nicht nötig, bei diesem Wort zu lächeln. Es scheint, als hätten die Ausnahmeschauspieler ihrer Berliner Jugend nicht nur ihr ästhetisches Rüstzeug befeuert, sondern sie auch mit ihrer Arbeitswut infiziert. Mit einer Disziplin, zu der sie sich nicht zwingen muss. „Ich bin einfach sehr fleißig. Und konsequent.“ Jetzt lacht sie doch – sie weiß, dass sie mit manchen Partnern im Kulturgeschäft erst ein gemeinsames Tempo suchen müsse. Aber man findet sich. So flimmert sie seit vorletztem Sommer auf der Feinkost. Denn die Kinobar besitzt eine mobile Projektionsanlage, es wäre der jammerschade, wenn die nicht ordentlich Dienst täte. Und jede nicht gespielte Vorstellung, ist eine Vorstellung zu wenig. Da ist sie wieder ganz der Filmjunkie.
Über die Ehrungen will sie nicht wirklich reden. Seit Jahren erhält die Kinobar den BKM-Programmpreis und den der Mitteldeutschen Medienförderung. Der Staatsminister für Kultur übergab ihr im letzten Jahr in Hamburg erstmals einen der Spitzenpreise für die profiliertesten Programme. Die Besten der Besten. Miriam Pfeiffer freut sich über die Unterstützung, aber sie findet sich nicht zu Unrecht ausgezeichnet. Und noch bevor man fragen kann, erwähnt sie ihren Mitarbeiter. Man würde zueinander passen, die Kollegen sähen die Arbeit und erledigen sie. Man habe sich gesucht und gefunden.
Also ist mit 67 Plätzen und dem Sommerkino auf der Feinkost alles in Ordnung für die Zukunft? Keine Lust auf Expansion? Sie hat zwar kleinere, speziellere Premieren, aber bei weniger als 100 Stühlen werden die so geschätzten Andreas-Dresen-Filme immer in den größeren Passage-Kinos starten. Die Antwort kommt ohne zögern: Damit könne sie leben, man darf nicht die Zwänge vergessen, die die Größe einem auferlege. Ein zweiter Saal reize sie aus anderen Gründen. „Hätte ich die Premiere des neuen Films der Coen-Brüder, würde ich im Saal B dazu eine kleine Coen-Reihe auflegen.“ Und da spricht auch wieder die Geschäftsfrau: „Big Lebowski läuft immer.“
Und wann geht es los mit Saal B? Miriam Pfeiffer bietet nun eines der kühlen Biere an. Das wird nicht überstürzt. Sie zeigt auf ihre Leinwand, dann breitet sie die Arme aus, als wolle sie ihr kleines Kino umarmen. Sie habe hier soviel gutes, alles was hinzukomme, müsse diesen Maßstäben gerecht werden.
Stefan Kanis
(gekürzte Fassung in der Leipziger Volkszeitung vom 19.01.2010)