Erloschen, verloren – und doch Musik

„Kaufmann & Co“ eröffnen die Reihe „Theater.Macht.Musik“ im Westflügel

„Ich ist ein anderer“. Der Dichter Rimbaud fasst in einem Satz, warum wir Kunst nötig haben. Alle Kunst lebt von diesem Riss, gutes Puppentheater aber zeigt die Werkzeuge, legt die Anatomie bloß. Spieler und Puppe auf einer Bühne, sichtbar, sich gegenseitig in Frage stellend. Wer führt, wer spricht, wer formt? Zwingt nicht die Puppe, einmal aus der Werkstatt entlassen, dem Spieler ihren Willen auf? Vorbei die Zeit, da der souveräne Patriarch die Puppen tanzen lässt. Vorbei auch die Zeit, da das offene Zwiegespräch nur mit dem Abbild des Menschen, der Puppe, geführt wird. Das andere Ich, dass die Hoheit der Spielerinnen in Frage stellt, kann auch das Porträt eines Geliebten sein. Ein Projektor brennt es ihnen auf die Haut. Alle Mittel sind hier recht. Längst ist dies kein Puppentheater mehr, sondern ein Theater der Phantasie.

In der Phantasie hat auch die Heldin des Abends ihre Heimstatt. Maria Schacko findet man nicht bei Wikipedia. Eine Opernsängerin, von der es keine Tonaufnahme gibt. Otto Klemperer war ihr Geliebter, Gustav Mahler vielleicht ihr Vater, mit Werfel und Furtwängler war sie bekannt. Niemand aber hat sie je erwähnt. Ein Frevel, für den die beiden Spielerinnen, Eva und Alexandra Kaufmann, niemanden büßen lassen können, außer sich selbst. Es gilt nur, was sie behaupten. Damit liegen alle Motive offen. Es beginnt ein Spiel um den Preis der Auslöschung, ein Spiel ums Vergessen. Wo ist nur der Liebesbrief von Gustav Mahler an ihre Mutter? Ach, sie hat ihn ja aufgegessen! Die Mutter oder die Schauspielerin? Es ist letztlich egal. Essen – Vergessen: „Schacko“ ist auch ein Abend der Analogien. Als nach einer knappen Stunde eine lebensgroße Puppe einem Sarg entsteigt und vorgibt, die Operndiva zu sein, steht das Desaster bevor. Die Puppendame hebt majestätisch den Arm, nimmt Fühlung auf mit sich selbst, dem Traum der Musik, der Sehnsucht nach Wirklichkeit und möchte noch einmal ein Schubert-Lied singen. Der Mund der Puppe öffnet sich, doch nichts, kein Ton. Eine winzige Neigung des Kopfes und das blanke Entsetzen steht ihr in den Augen. Die beiden Menschen auf der Bühne können ihr es nicht vorenthalten: „Wir wissen nicht wie ihre Stimme geklungen hat.“ Die Puppe muss es büßen. Auf das andere Ich ist kein Verlass.

Kaufmann & Co skizzieren mit diesem Abend die Ungeheuerlichkeit des Vergehens. Bis zum finalen Auftritt der alten Diva, ein fast schon unerwartetes Zugeständnis, vertreten zwei winzige Holzpüppchen Maria Schacko und Otto Klemperer. Im Sinne des Gedankenreichtums ist das nur konsequent. Wahre Erinnerung muss ohne Bilder auskommen. Dieser provokative Purismus führt die Inszenierung von Gyula Molnàr leider in eine Falle. Er lässt zu viel Raum für eine oft unbewältigte Rahmenhandlung, die das Selbstverwirklichungsproblem zwischen den beiden Darstellerinnen nochmals spiegelt. Als Theater auf dem Theater. Das ist für ein paar Lacher gut, schafft aber erhebliche Spannungsverluste, um die man die Substanz dieses Abends herzlich bedauert.

Stefan Kanis
(Leipziger Volkszeitung, 16.01.2010)

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