Das Hildesheimer »Theater 11.August« gastiert im Lofft mit „Abstracts of Men“.
Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann. Wirkliche Tiefe verweist immer nur auf sich selbst. Auch ein großer Theaterabend kann seinen Gegenstand vergessen. Kann ihn vergessen machen, weil er nicht über etwas handelt, sondern durch ihn hindurch spielt. Schöne Theorie für die Produktion »Abstracts of Men«, die auch im Centraltheater gern reklamiert wird – aber: Es verschwindet der Gegenstand nur, in dem man ihn verarbeitet. Und das möglichst intelligent.
Im Lofft ist dieser Gegenstand, den es gilt, im Herzen des Publikums aufzulösen, nicht eben klein. Es ist eigentlich eine Frage: Was ist Männlichkeit? The Abstracts of Men. Diese Frage kennt an diesem Abend drei Gesichter, drei Stimmen, drei Körper. Arthur, Yves und Friedolin, reife Knaben mehr als gestandene Männer, teilen sich drei weiße Hocker. Aus den Boxen sickern Bruchstücke von Interviews. Was denken Männer über Männer? Alles mögliche natürlich. Der einzige Konsens ist vielleicht: Frauen schlägt man nicht. Doch darum geht es natürlich nicht, zum Glück. Der Abend liefert keine weitere Auflage des arg beliebten neodokumentarischen Theaters. Denn was gleich am Anfang beginnt, dass die Jungs ihre eigenen Stimmen doppelnd über die Fremdtexte legen, nicht sklavisch Wort für Wort, sondern in uneitler, fast unbewusster Distanz: das öffnet jenen erstaunlichen Strudel von Authentizität, in dem der Abend aufsteigt. Das Spiel der drei beginnt in körperlicher Konkurrenz: Wer springt über die Hocker, wenn man sie zwei Körperlängen auseinanderrückt? Noch versucht Yves, die stämmige Nummer zwei, mitzuhalten; ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, denn der lange Friedolin macht das fast aus dem Stand. Spannend daran ist, was der dritte tut. Arthur, wirklich ein kleiner Engel, eine kindlicher Parsifal, beobachtet aus dem Augenwinkel heraus die Tunichtgute. Was sich dabei in ihm vorbereitet, wird zwar in reduzierter, filmischer Mimik ahnbar, aber legt sich nicht fest. Etwas später gibt er in einem fulminanten „Man-in-the-Mirror“-Solo, gleichzeitig selbstvergessen und präsent, einen hochindividuellen Kommentar zur Performance seiner Kollegen ab. Natürlich ist „abgeben“ dass falsche Wort. Er fügt sich zu einem solchen. Im Kopf des Zuschauers.
Regisseurin Romy Weihrauch setzt – ganz in der Hildesheimer Tradition – auf eine vernachlässigte Sparte theatraler Intensität: die sorgsame Anreicherung der Figurenbeziehungen. Sie vertraut dabei unterschwelligen Korrespondenzen, einem fast eleganten Rhythmus, der diese reichliche Theaterstunde selbst zu einem mehrstimmigen Gespräch zwischen Bühne und Parkett macht.
Yves Regenass, Friedolin Müller und Arthur Romanowski spielen präzise, aufrichtig und verrückt. Sie bedienen sich dabei einer Art authentischen Höflichkeit, die sicher auch Gewieftheit kennt, aber nicht ausstellt. Auf solch gut bereiteter Erde gerät im Vorfinale die ausführliche Rede der drei über die intimen körperlichen Merkmale der Mitspieler – „Arthurs Po ist etwas dunkler, wie gebräunt, eine Art Heiligenschein“ – schließlich zu einer Botschaft der Zivilität. Die Inszenierung öffnet in sich den Weg von der Konkurrenz zur Kooperation. Wer sich kennenlernt, und sei es auf dem Theater, der redet, spielt und tanzt – und springt nicht über die Stöckchen, die der Markt einem hinhält – auch als Mann.
Stefan Kanis
(Leipziger Volkszeitung, 29.03.2010)