Anmerkung
Die interventionistische Flanke der Kunstschaffenden weiß gar nicht, wie sie das alles verarbeiten soll. Diese ganze Jetztzeit. Die absolute Gegenwart. Die vielen Flüchtenden. So schnell können Konzepte gar nicht mehr geschrieben, Projekte beantragt und Teams zusammengestellt werden. Dabei sollte Kunst doch aus Verzweiflung über das eigene Leben entstehen und nicht aus Verzweiflung über das Leben anderer. Psychologen würden wohl von einer Projektion sprechen: Die Künstler sind ja verzweifelt, sie suchen nur dringend einen Gegenstand, der alle ergreift, sie selbst eingeschlossen. Also flieht die Kunst in die Mitte, wo alle sind und alles ist: Die Medien, die Feuilletons, die großen Gefühle, der Diskurs. Diese Mitte hat die Halbwertzeit einer Presseschau. Kunst aber braucht Abstand, ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Stillstand, aus dem heraus sie, gegen den sie opponieren kann. Natürlich ist dieser Stillstand größer denn je, aber er erscheint als Fülle, er trägt die bunten Kleider von Posts&Comments, er ist der rasende Wechsel.
Eine Gesellschaft ohne Stillstand ist eine Gesellschaft ohne Kunst. Kunst muss sich heute zuerst ihre eigene Arbeitsgrundlage schaffen: Stillstand und Distanz. Und sie sollte die Kraft haben, nicht alles, was geschieht, als ihr Material anzusehen. Zum Beispiel die Flüchtenden.
Hut ab vor denen, die helfen: Deren Hinwendung zu den Flüchtenden offenbart neben guter Kinderstube die uneingestandene Sehnsucht nach einer anderen Gesellschaft, in der eine radikalere Teilhabe praktiziert wird, als die der Kleiderspende. Das ist der politische Kern der ‚Willkommenskultur‘. Es gibt wohl tatsächlich einen verdeckten Impuls im Helfen, der ausagiert, was dem täglichen Einsatz des beruflichen Ellenbogens komplett widerspricht: Dass eine andere Welt möglich wäre. Daraus muss man bitte nicht gleich wieder ein Theaterstück machen.