Leben um jeden Preis

Die Cammerspiele überraschen mit Ferdinand-Bruckner-Remake

Freitagabend: Während noch das Publikum Platz nimmt, malt der böse Freder seiner Zukünftigen, der Marie, eine Wunde aus Theaterblut auf den Rücken. Liebevoll macht er das, fast zärtlich. Es wird bei dieser Freundlichkeit nicht bleiben, soviel steht fest. Was in hohen Einweckgläsern auf der Kommode an rotem Saft bereitsteht, wird seine Verwendung finden.

Ferdinand Bruckners Skandalerfolg von 1928 spielt unter Medizinstudenten. Desiree, eine ausgebüchste Jung-Gräfin springt als zuckende Flamme von Erfolg zu Erfolg. Die schwierigsten Examen bewältigt sie im Handumdrehen und im Bett ist sie die pure Lust. Eigentlich ein Glückskind, wenn da nicht das Virus wäre, von dem zu reden sein wird. In derselben Pension siedelt auch Marie, Baumeisterstochter und zu Stückbeginn frischgebackene Dr. med. „Einmal gefährlich leben bitte!“ – Könnte man dieses Virus kaufen, Marie wäre die erste in der Schlange. Bis dahin bleibt ihr nur kaschierender Arbeitswille. Die dritte im Bunde, Irene, eine Portierstochter, vertritt im Original das nüchterne Arbeitsethos der niederen Schichten: „Ich habe mein Studium im unbeheizten Zimmer gemacht.“ Dieser Satz ist, wie viele andere, gestrichen – und mit ihm die etwas bemühte Staffelung der Herkunftsverhältnisse. Elisa Jentschs Inszenierung wagt viel, wenn sie die sozialen Wurzeln dieser ohnehin papiernen Geschöpfe kappt. Sie sperrt sie stattdessen, zur Strafe und als Katalysator, über anderthalb Stunden auf derselben Bühne zusammen. Findet euch mal und zeigt wer ihr seid, steht in ideeller Blutschrift über der Szene. Die Geschichte – nun zu den Männern – ist derweil recht simpel. Der gelangweilte Freder, mittlerweile im 24. Semester, gefällt sich als Freizeit-Nietzscheaner. Eben einer Liaison mit Desiree, dem Vamp, entkommen, stichelt und wühlt er im Umfeld, auf das alle sich doch endlich zu ihren wahren Bedürfnissen bekennen. Unter diesem Stern wechselt dann auch der dichtende Herr Petrell, genannt Bubi, die wärmenden Fittiche. Von Marie, der Bürgerlichen wider Willen, geht’s zur puritanischen Irene. Und für Desiree, die Unersättliche, gilt: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.

An all diesen Fährnissen wäre nun wenig bemerkenswert, wenn es der Inszenierung nicht tatsächlich gelänge, das Bäumchen-wechsle-dich der Seele in einem Füllhorn von szenischen Einfällen auszuschütten. So etwa der Rachefeldzug Maries an Irene, nachdem sie ihr den Bubi ausgespannt hat. Irenes rote Haare – bei Bruckner fesselt Marie sie damit ans Möbel (!) – mutieren hier zu einer roten Strumpfhose, die am Ende des Strafgerichts ihren Kopf als strangulierende Eulenspiegelhaube schmückt. Derlei motivische Verkettungen von Kostüm und Spiel halten Figuren und Publikum bei der Stange und verdichten, bei aller Komik, allmählich einen eigentümlichen, aus der Zeit gefallenen Eigentlichkeits-Furor. Im Widerspruch zur Facebook-Lakonie behauptet das überzeugende Ensemble eine „Krankheit der Jugend“, weniger um sie zu heilen, als um das Virus zu schützen. Das überrascht.

Apropos Schutzraum: Die dynamischen Arrangements der Inszenierung kollidieren ärgerlich mit dem schwarzen Kleinkunstkasten der naTo. Man wünscht diesem Abend eine geeignete Bühne

(Leipziger Volkszeitung, 23.04.2012)

Cammerspiele Leipzig | »Krankheit der Jugend« von Ferdinand Bruckner | Regie: Eilsa Jentsch | Musik: Musik: Hannes Naumann | Mit: Sarah Arndtz, Thomas Deubel, Christian Feist, Nina Maria Föhr, Anne Rab, Sabrina Weidner

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