Erlösende Verwirrung

Leander haußmann inszeniert Shakespeares „Sommernachtstraum“ am DNT Weimar.

… So hebt sein »Sommernachtstraum« mit einem quirligen, eitlen Schwarm an, der nie zur Ruhe kommt, keinen Satz wirklich zu Ende denkt und spricht: der Athener Hof des Theseus. Ohne Unterlass wird hier wahre Liebe beschworen, aber nicht ausgeführt. Nie gelingt den Paaren eine Umarmung, ein tatsächliches Ausleben ihrer Gefühle. Vom Fieber des erotischen Traumes schon ergriffen, taumeln, springen, schwanken sie durch ihr Leben. Die Grundsätze, die sie doch auf der Tagseite ihrer Existenz mit Ehr‘ und Sitte verfechten und einzulösen trachten, sind schon torpediert von der Macht des Unterleibes. Erlösend folgerichtig der Moment, da sich der Vorhang über der Hauptbühne hebt: Es eröffnet sich ein Kleinod der Bühnenbildnerkunst – Franz Havemann baut einen Märchen-Wald mit Vögeln, mechanischen Echsen, Wasser und Uralt-Eichen. In dieses Geisterparadies dringen die Athener auf der Flucht vorm Liebesverbot des Hofes.

Hier jedoch regieren depperte Gestalten: Die erste Elfe und Puck zählen gemeinsam über hundert Jahre. Oberon ist in den kleinlichen Zank mit Titania um einen Pagen so verstrickt, daß er seinen Zaubermitteln nicht mehr gebieten kann. Die bei Shakespeare notierte Handwerkerschar,in den Wald geeilt, um ein Schauspiel für Theseus Vermählung einzuüben, zeigt sich von dessen Verlockungen und kleinen Fallen vollends überfordert. Das Mißgeschick nimmt – anders als bei Shakespeare – seinen Lauf. Puck kann die selbstgestiftete Verwirrung der Liebespaare nicht lösen, Heiserkeit erlaubt ihm die Stimmverstellung nicht. So erschlagen sich Demetrius und Lysander gegenseitig, Helena ersticht die Hermia.

Nun misst aber Haußmann dem nicht etwa eine zentrale, konzeptionsschwangere Rolle zu. Es geschieht quasi im Vorübergehen. Solcherart unschlüssig und leicht verwirrt in die Pause entlassen, erschließt sich erst im zweiten Teil das Denken des Regisseurs: Das Spiel zieht sich auf die Vorbühne zurück, um sich zum Finale am Athener Hof wiederum auf die von der Opulenz des Waldes freigeräumte Drehscheibe, auf die blanken Bühnenbrettern zu begeben. Theseus‘ Hof setzt zur glücklichen Hochzeit an. Die im Märchenwald Getöteten sind auferstanden, statt Nacktheit der Idylle trägt man zeitlose Abendgarderobe. Öde, weit und leer ist das Bühnenrund. Ein paar
Stühle, ein Strauß Rosen. „Wie ekel, schal, flach und unersprießlich erscheint mir das Getriebe dieser Welt”. Dies Hamletwort kennzeichnet bei Haußmann die alltägliche gesellschaftliche Bühne, die traurige Realität. Hier ist nichts Lebendiges mehr.

Die dem Auge des Zuschauers eben noch vorgeführte Nacht im Wald – nichts mehr als ein verbotener erotischer Wunschtraum.
Zum Ende verfolgt gelangweilt und weit hinten an der Brandmauer die traute Hofgesellschaft das langweilige Spiel der Handwerker. Da mag man doch lieber im Zauberwald Zugrundegehen.
Leander Haußmann gelingt eine Inszenierung, die in einer schönen Ensembleleistung sich selbst keineswegs völlig erklärt. Das Publikum wähnt sich letztendlich, das mag wohl Absicht sein, einem Traumgebilde gegenüber: Erklär’s dir selber. Ähnlich den stückfremden Figuren, die sich unter die shakespearschen mischen und eine fremde faszinierende Welt erleben. Wie im Traum eben. Glücklich jene Zuschauer, die sich dem `kopflos‘ überlassen können.

Stefan Kanis (STADTSTREICHER Chemnitz 1992)

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