Der Dramaturg Bernd Stegemann analysiert einen Frontenwechsel. Eine Sendung von Stefan Kanis.
Wie das Theater dem Kapital zuspielt
Mit: Franka Anna Kahl und Michael Pempelforth. Schnitt: Hans-Peter Ruhnert. Ton: André Lüer.
Regie: Stefan Kanis (Ursendung: MDR FIGARO, 28.03.2015 | 26’10)
Das neue Jahrtausend steht unterm Flammenschwert der „Authentizität“. Der Homo oeconomicus soll Masken und Vorbehalte ablegen und sich ohne Reserve in den Prozess seiner (Selbst-)Ausbeutung einbringen. Die Trennung zwischen Privatem und Dienstlichem war gestern, jeder performt seine eigene Persönlichkeit gleitend zwischen 0 und 24 Uhr. Nur der Mehrwert der Arbeit fließt nach wie vor in dieselben Kassen. Die Erziehung einer flexiblen, osmotisch-marktkonformen Persönlichkeit darf sich dabei auf einen prominenten Sekundanten verlassen: das zeitgenössische Theater. Der Berliner Dramaturg und Hochschullehrer Bernd Stegemann hat die paradoxen Effekte der Auflösung von Wirklichkeit zu Gunsten des vorgeblich Authentischen untersucht. Wem begegnet der Zuschauer, wenn er heute das Schauspielhaus einer größeren Stadt aufsucht? Sich selbst. Er erlebt sich als intelligenten Decoder von willkürlichen Bühnenereignissen, der im Verlauf der Sinnkonstruktion vor allem seiner eigenen Intelligenz schmeichelt. Oder lapidarer: „Im Theater sitzend erfährt er etwas darüber, wie es ist, im Theater zu sitzen.“