Symbole, Gags, Banalitäten

Büchners „Woyzeck“ – letzte Premiere vor der Spielzeitpause

Einen Fels noch, zum Ende der Spielzeit, hat sich das Städtische Schauspiel in die zerklüftete Küstenlinie seines Spielplanes gerückt. Da liegt er nun – kantig, verschroben, ein Bote aus der Urzeit. Das Begleitheft zum Abend weist auf den Umfang des Brockens noch hin: Woyzeck sei ein altes, dummes Märchen, ein soziales Rührstück, typischer Kassenschlager einer Bühne, die sich als moralische Anstalt verstünde. Hier wird offensichtlich signalisiert: So nicht, nicht in Chemnitz.

Martin Nimz‘ Woyzeck ist denn auch nicht Vertreter der unterdrückten Klasse sondern gibt einen Menschen, der ins Getriebe des Bösen gerät. Und das Böse steckt in all dem, was auf dieser Welt dressiert, verbohrt und un-natürlich ist. Seien es die obskuren Experimente des Doktors, zu denen Woyzeck sich des Geldes wegen zur Verfügung stellt. Sei es das eitle Funkeln des Tambourmajors, der des Woyzecks Marie den Kopf verdreht. In knapp zwei Dutzend Szenen hat Büchner die Hatz der Hauptfigur hin zum Mord an Marie und dem Gang ins Wasser skizziert. Ein kruder Entwurf, keine gediegene Literatur, zweifellos. Nur ein agitatorisch-soziales Rührstück, schwelte nicht zwischen den Zeilen ein ‚falscher‘ Ton, eine Anmerkung zum Lauf der Welt, die auf „Krieg den Palästen“ nicht zu reduzieren ist.

Dieser Untertext spricht in einem Halbsatz vom ganzen (Un)Sinn des Menschengeschlechts. Eine untergründige Dimension freilich, deren sinnliche Erlebbarkeit auf der Bühne entfaltet werden will. Genau hier entwickelt Regisseur Arne Retzlaff kaum szenische Phantasie. Er gestaltet den Abend als inszenatorische Gemischtwarenhandlung: Schwergänige Symbolik tritt zwischen realistische Figurenbeziehungen, durchsetzt mit Gags aus der Slapstick-Tradition (Woyzeck drückt sein Schnappmesser etliche Male gegen Maries Leib – immer wieder rutscht die Klinge ins Heft zurück: Zweiminütiges Sinnbild des Satzes: Kannst du nit‘ sterbe, Marie.)

Dagegen steht das Bemühen der Darsteller um intensives Spiel auf schwierigem Posten. Sylvia Wolff als Marie und Sebastian Kowskis Tambourmajor gelingen dabei jene Szenen, die vermittels ihrer emotionalen und körperlichen Spannung, sich gegenüber dem büchnerschen Text noch am meisten behaupten können. Das Ensemble spielt im ganzen mit großem Einsatz, der Aufführung jedoch fehlt ein Grundgedanke, ein inhaltliches Wollen.

So liegt der Brocken in der Brandung, ein Stein mehr eben.

Stefan Kanis (STADTSTREICHER Chemnitz, Aug. 1992)

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