Zwischen Bühne und Schreibtisch

Der Gründungsprofessor des Studienganges Dramatrugie an der HfMT Leipzig

Peter Reichel, Jahrgang ’39, kämpft um einen Berufsstand. Die erste Runde hat er gerade gewonnen: In diesem Monat beginnt an der Hochschule für Musik und Theater die Ausbildung in einer sehr alten Kunst: Dramaturgie. Der einzige Studiengang dieser Art in Deutschland. Was ein Dramaturg denn eigentlich zu tun habe, darüber könnte der versierte Praktiker mehr als tausend Sätze sagen. Ob ein Text auf die Bühne oder ein Szenarium auf die Leinwand kommen sollte, ist zwar eine wichtige aber beileibe nicht die einzige Arbeitsaufgabe. Dramaturgen arbeiten im Verborgenen. Ihr Tun wird zumeist nur bemerkt, wenn es fehlschlägt.

Um dem vorzubeugen sieht der neue Studiengang, den Reichel als Gründungsprofessor leitet, eine grundsolide wissenschaftliche Ausbildung vor. Kompetente und vielseitige Arbeitspartner brauchten sich in den künstlerischen Medien nicht klein zu machen. Reichel läßt in puncto Vielseitigkeit auch nichts anbrennen: Ein Rundgang durch die Etage in der Schwägrichenstraße offenbart ein Videostudio inklusive fachspezifischer Videothek, das Einmaleins der Büroarbeit beginnt hier beim Mausklick. Was man vor sich sähe, sei das Ergebnis seines Hangs zur Phantasie – und zum Ordnungssinn.

Spuren dieser eigenwilligen Kombination finden sich auch im Poetischen Theater. Dort nutzt man noch heute die technische Ausstattung, die Reichel als dessen Chef in den 80er Jahren installieren ließ. Von Vergangenem, dem legendären Ruf des „Poetischen“, macht Reichel nicht viel Aufhebens. Er war Dramaturg in Leipzig und Chefdramaturg in Dresden, hat jede Menge neue Dramatik herausgegeben, habilitierte sich ’88 und wurde im Herbst ’89 Professor am Literaturinstitut. Daß er mit dem gesamten Institut kurze Zeit später abgewickelt wurde – er nahm es gelassen. Oft genug habe er gesicherte Positionen von selbst aufgegeben. In der Schwägrichenstraße will er länger bleiben.

Stefan Kanis (KREUZER, Sept. 1995)

Dieser Beitrag wurde unter Theaterkritik abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.