Brecht im Cola-Rausch

Selbstbewusster Kindermund: „Das Badener Lehrstück vom Einverständnis“ im LOFFT

Der Abend des letzten Ferien-Samstags. Und auf der Bühne Kinder, die freiwillig ein Lehrstück einüben! Verkehrte Welt, sagt sich Lehrer Lämpel. Um es vorwegzunehmen: Dieser Kalauer tritt der Bühnenhandlung nicht zu nahe.

Eine knappe Werkeinordnung: Mit Brechts frühen Stücken meldet sich ein Vokabular zu Wort, das man vergessen glaubte: Nützlichkeit, Einverständnis, Modellcharakter, Lernen und Lehren, Erkenntnis ­– ein Vokabular, das wie von einem anderen Kontinent herüberstrahlt und abprallt an den aktuellen Spielplänen der scheinaktivistisch agierenden Subventionsbühnen! Es besteht also Einverständnis-Bedarf, ohne Frage.

Zur Handlung: Von einem Kontinent zum anderen wollte auch ein Flieger fliegen, individualistische Hauptfigur in Brechts Text. Abgestürzt ist er, der Pionier, samt dreier Monteure. Nun liegen sie auf dem Bühnenpodium, ausgeliefert in ihrem Missgeschick einem „gelernten Chor“ nebst Führer, einem Sprecher, drei Clowns und zu guter Letzt auch noch der Beurteilung der Menge. Die tödlich Verwundeten begehren von uns nur ein wenig Wasser und ein Kissen unter dem Kopf, bevor es mit ihnen zu Ende geht. Aber so leicht sollen sie die Menge nicht rühren. Haben sie uns den geholfen mit ihrem Flug? Nein, denn „das Brot wurde dadurch nicht billiger“! Wer der Gesellschaft etwas abnötigt, und sei es Mitleid, der muss für sie etwas tun. Und der Besondere schützt sich durch Anpassung: Stürmt es, verlässt er sein stolzes Automobil und zieht den Rock aus, er legt sich flach auf den Boden und „so überwand er den Sturm in seiner kleinsten Größe“. Und so ergeht auch die Aufforderung an die Verletzten: Wer das Sterben überwinden will, der muss mit ihm einverstanden sein. Eine sehr schöne Kippfigur des Totalitären.

Mit all diesem diffizilen Wägbarkeiten hat das Performancekollektiv „internil“ im LOFFT nun reichlich wenig am Hut. Ihr Credo „Wir spielen nach, was uns vorgemacht wird“, realisieren sie radikal. Wie muss man sich das vorstellen? Als würde das Video einer ambitionierten Heiner-Müller-Inszenierung der 80er Jahre – Clownsmasken, Puppen, Stimmen vom Band, Uniformen – Opfer eines tolldreisten Kindergeburtstags. Dabei geben Leoni Ruhland, Laura Rademacher, Maximilian Krötel, Maria Tchernova, Patricia Machmutoff, allesamt irgendwo zwischen 10 und 16 Jahren, wahrlich ihr bestes. Die Spielleitung von Arne Vogelgesang verschafft den halben Teenagern genügend Luft, um sich selbstbewusst und nicht ohne Komik durch die Szenen zu schlagen. Leider fällt die gesamte Exposition, die die gescheiterten Flieger und damit denn Sinn der ganzen Unternehmung einführt, gleich einer ersten Wortfindungsübung zum Opfer. Ohne Textkenntnis heißt es daher: einfach treiben lassen. Ein Trumpf haben die zackigen Performer allerdings auf der Hand: Die Lehrstücke, so Brecht, fänden ohnehin weniger für die Zuschauer als für Mitwirkenden statt. Die Spieler erzögen sich im Spiel. Die zahlreich anwesende Verwandtschaft hatte am Premierenabend gegen diese Selbstermächtigungspädagogik wenig einzuwenden. Großer Applaus. Das Theater ist eben eine Revolutionsmaschine! Und vielleicht hätte auch Bert Brecht wieder einmal seinen tiefen Satz gesagt: „Es geht auch anders, doch so geht es auch.“

(Leipziger Volkszeitung, 03.09.2012)

DARSTELLER: Leoni Ruhland, Laura Rademacher, Maximilian Krötel, Maria Tchernova, Patricia Machmutoff | REGIE: Arne Vogelgesang
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