Tradition im Pop-Mantel

Defätistische Anmerkung zu „Dschungel L.E.“

Theaterspektakel Dschungel L.E. Letztens sprachen wir an dieser Stelle vom ‘Theater’ im ‘Spektakel’. Von den einzelnen Inszenierungen im Dschungel L.E. Da gab es Höhepunkte und Schwachstellen. Am Rande standen Erwägungen zum Fest-Charakter der Veranstaltung. Wollen wir heute vom Pop sprechen. Wollen wir zum Beispiel die Frage stellen, warum Jim Whitting ins Schauspielhaus kommt und nicht das Schauspiel zu Jim Whitting. Wollen wir eine defätistische Überlegung anstrengen zum Anachronismus des Stadttheaters und zur ‘hegemonialen Kultur’.

Was ist eigentlich geschehen. Mit dem Spektakel öffnet das Schauspiel die Flanke hin zur populären Kultur. In Praxis heißt das ja wohl, daß der künstlerische Leitungsstab an seinem Leitungstisch zusammenkommt und überlegt, wie man den nicht sonderlich gut gehenden Laden Schauspiel Leipzig ein wenig in Schwung bringt. Die alte Spektakel-Idee wird reaktiviert. Natürlich. Von Christoph Schroth im Schwerin der DDR kultiviert. Den Glutkern der DDR-Spektakel bildete eine zeitlich und örtlich begrenzte Kommune aus Zuschauern und Akteuren, es entstanden temporäre Orte des Austausches, der Dereglementierung. Die Aura des Unerlaubten, des Unerhörten knüpfte sich an die Botschaft, an das Wort. Ein Spektakel im Jahre acht nach der Vereinigung kann das Unerhörte nicht aus dem verbotenen Wort ableiten. Das weiß man natürlich auch im Schauspielhaus. Also setzt man auf marktwirtschaftliche Denkweisen: Überangebot, Konkurrenz & Auswahl. Eine Vielzahl von in sich geschlossenen Aufführungen konkurriert um den Zugriff des Publikums. Daneben gibt es noch Rahmenprogramm, das den Flaneur, so gut es geht, bei Laune hält. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen (G.).

Das Positivum: die bestallte Kunstproduktion setzt sich selbst einem enormen Leistungsdruck aus – alle tun mehr als sie tun müßten und ernten dafür ein Bravo. Nicht zu Unrecht. Der Pferdefuß aber liegt im Ansatz, verbirgt sich in der gewöhnlichen Grundstruktur von Basismodellen und Tuning-Packs. Ein theatrales Fest muß keine Abfolge von Inszenierungen sein. Ein Spektakel sollte die Entgrenzung, die Mesalliancen versuchen. Denn ein Dschungel ist doch etwas vielfältiger und undurchschaubarer als ein solides Überangebot. Freilich braucht’s dafür Leute mit Gespür und Feeling, Groove, Sex, böser Intelligenz und genügend bpm. All diese bösen Begriffe stammen aus dem Dschungel der Populären Kultur. Da empfehlen sich natürlich auch mal Studienreisen. Soweit muß man allerdings gar nicht fahren. Ins Theaterhaus Jena etwa oder zu den Freien Kammerspielen Magdeburg, zum Theater Mahagoni nach Hildesheim oder zu Stefan Pucher nach Frankfurt oder zu den heimischen Kollegen von Titanick. Das riecht natürlich nach OFF. Und Claims sind natürlich dafür da, daß sie abgesteckt werden. Aber vielleicht hätte man den ganzen Laden einfach auch nur ein letztes Mal Irina Pauls in die Hand geben sollen. Oder man wäre in die Gastro-Brache des Agra-Parkes gewandert, hätte sich fünf Wochen eingeschlossen… Geht natürlich nicht, weil man das ganze Repertoire am Hals hat… Und so tut man das, was erwartet wird, nur mehr als gewöhnlich. Der Einsatz ist hoch, das kulturpolitische Wagnis letztlich gering. Im „Dschungel L.E.“ sind ein paar ganz gute Inszenierungen versteckt, folglich ist das Spektakel ist eine gute Sache, und das ist schon fast alles.

Stefan Kanis (KREUZER, Mai 1998)

Schauspiel Leipzig | Spektakel »Dschungel L.E.« | Premiere: 13.04.98 | www.schauspiel-leipzig.de

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