Mühsamer Spaß

Molieres »Tartuffe« im Leipziger Schauspiel

Matthias Hummitzsch ist unser Tartuffe. Die Leipziger City Lights zeigen uns sein großes rotes Herz. Das Motiv, klug ausgeborgt bei den Kitsch-Artisten Pierre et Gilles, annonciert die Heiligsprechung der Schönheit als Pop-Inszenierung. Die Zeichen deuten auf einen Kunstraum, auf eine Arena der Gesten, versprechen ein differenziertes Humorverständnis. Doch im Schauspielhaus kommt es anders. Ein mintgrünes Kulissenungetüm von Claudia Doderer nagelt die Schauspieler auf der Vorderbühne fest. Sie stürmen von rechts eine Rampe hinunter oder reißen links Theatertüren auf und dann stehen sie da. Stehen da, auf diesem Platz in diesem halb-historisierenden Bühnenmöbel in ihrem unmöglichen Aufzug. Joachim Herzog zieht der einen Hälfte des Ensembles katastrophale, der anderen Hälfte langweilige Kleider an. Das Kleinbürgertum hat keinen Geschmack und das quer durch die Jahrhunderte? Der eine Junge trägt Goldkette und Imitat-Rolex, der andere geht mit dem Baseballschläger los. Die Ausstattung ist aufdringlich; was sie aber zeigt, ist ohne Klarheit und Sensibilität.

Was bietet das Stück? Es verhandelt eine private Idiotie, nichts vorderhand Politisches. Hausvater Orgon geht aus nichts ganz nachvollziehbaren Gründen einem religiösen Eiferer auf den Leim. Der Eiferer ist eigentlich ein Betrüger. Alle in Orgons Umgebung vermuten das – und weil das alle vermuten, steht der gute Hausvater mit seiner Meinung recht isoliert. Er ist ein autoritärer Typ und kann es gar nicht leiden, wenn die anderen nicht das tun, was er will. Also verliert er völlig die Bodenhaftung und vererbt seinem Heiligen das ganze Haus samt Vermögen. Das ist von Moliere nicht gerade mit der feinen Nadel gestrickt. Doch die grobe Vorlage gibt der Inszenierung freie Hand, eine eigene, möglicherweise kunstvoll-politische Geschichte über Orgon, seine Familie und den Betrüger zu erzählen. Das erweist sich als komplette Fehlanzeige.

Wenn eine Komödie die Aufgabe hat, ein vergnügliches Licht auf die Schattenseiten der menschlichen Charaktere zu werfen, setzt das zuerst Charakter voraus. Doch keine Figur hat hier Tiefe. Das Personal ist vor allem erregt: Die älteren Herren fahren sich derart manieriert und häufig durchs Haar, dass man hier Ideen der Regie (Herbert Olschok) in Durchführung vermutet. Susanne Buchenberger gibt wenig inspiriert – offensichtlich auch auf Anweisung – die apathische Göre des Orgon, Susanne Böwe hält sich mit Konturen seiner rationalen Gattin gesittet im Hintergund. Letztlich stechen jedoch die privaten Trümpfe, es überwintern die besten Alleinsteher. Jochen Noch sammelt hier als warnender Schwager die meisten Wertungspunkte: Er bietet eine weitere Variante seiner nervösen, ins Groteske überspitzten Isolierung von Gestik, Mimik und Sprache. Orgon selbst, Christoph Hohmann, hat den Zehnkampf gar nicht erst aufgenommen. Fast scheint es, als lege sich der nur allzu berechtigte Zweifel am Sinn dieser Unternehmung wie ein handwarmer Lappen abwinkend selbst über seine heftigsten Ausbrüche. Hummitzsch, charmant, verlogen und eloquent, spielt den Tartuffe genau so, wie man ihn in einer Inszenierung erwartet, der zum Thema eigentlich nichts einfällt, und die deshalb auf Nummer sicher geht. Olschok läßt vom Blatt spielen, aber keiner spielt so richtig mit. Das ist recht mühsam anzusehen.

Stefan Kanis (KREUZER, März 2000)

Schauspiel Leipzig | »Tartuffe oder Der Betrüger« von Jean-Baptiste Molière | Premiere: 22.01.00 | Regie: Herbert Olschok | Mit: Matthias Hummitzsch, Christoph Lehmann, Susanne Böwe, Jochen Noch u.a.

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