Rabatz im Puppenheim

TheaterPack bringt im LOFFT Christian von Asters „Großmickering“ zur Uraufführung

GroßmickeringDer Titel ist Programm. „Großmickering“. Ein Kaff, ein Nichts, ein Ich-kenne-hier-alle-Ort. Die sympathischste Figur in solchen Landstrichen ist immer noch der Dorftrottel. Den Rest kann man getrost vergessen: Ein Schneider mit Quetschfrisur, ein sangesfreudiger Pfarrer, der Ortsfleischer mit dem einzigen Fernseher und ein extremnuschelnder Bauer: aus diesem Kasten zieht Christian von Aster sein Personal.Nur ein TV-Gerät im Ort? Das heißt, wir befinden uns in den 50er Jahren. Oder aber: Es herrscht Parabelstimmung. Was sich bald als die avisierte Zündschnur zum Publikum erweisen wird. Großmickering erinnert von Ferne, ganz von Ferne, an ein noch mal verkleinertes Dürrenmattsches Güllen. Was Großmickering aber fehlt, ist der Besuch der alten Dame, der Wille zur Bosheit, die ihren Namen nicht scheut. Der Autor liebt dagegen das Ungefähre.

Was stellt uns die Geschichte vor: Die vier Schießbudenfiguren – Pfarrer, Schneider, Fleischer, Bauer –  haben gemeinschaftlich eine Schaufensterpuppe erstanden. Die teilen sie sich nun nach exaktem Zeitplan. Mareike Greb gibt uns diese steife Dame in handwerklicher Präzision. Frank Schletters Regie zeichnet damit ein Rätsel an den Himmel über Großmickering, dessen Potential sich unter Wert verkaufen wird. Denn natürlich liegt bei einer Schaufensterpuppe, die eigentlich aus Fleisch und Blut ist, so einiges in der Luft. Man wagt es sich als Zuschauer gar nicht auszudenken. Leider geht es den Männern, die uns von Aster vorstellt – Pfarrer, Schneider, Fleischer, Bauer – ähnlich. Keine Phantasie. Der Fleischer hängt seine Würste an der Dame auf, der Schneider seine Kleider, der Bauer braucht sie als Vogelscheuche. Ende der gedanklichen und physischen Extremitäten. Zum Glück für die Dame gibt es aber noch den Dorftrottel. Er klaut dem Quartett seine Puppe. Klimax und Höhepunkt? Fehlanzeige. Der Autor bleibt weiter Gentleman und führt uns in einer Nebenhandlung auf emanzipatorische Pfade: Der Dorftrottel befreit die Puppe aus ihrer Rolle als sich selbst entfremdetem Wesen. Wie er das macht? Der Einfallsreichste ist er auch nicht: Er geht mit ihr ins Kino und Essen. Aber immerhin: Statt Würste hochzuhalten, werden ihr jetzt welche angeboten. Doch die Dame lohnt es nicht, bleibt spröde und ungelenk. Kein Dornröschen-Effekt. Das ist konsequent emanzipatorisch, selbstlos und ziemlicher Blödsinn: Nur ein wahrer Trottel erwartet für die Befreiungstat nicht den lohnenden Kuss. Sonst noch was? Ach ja, die zurückgebliebenen Männer. Sie sind nicht Manns genug, etwas anderes zu tun, als man von Klischees erwartet. Sie bezichtigen sich gegenseitig des Diebstahls, hauen sich die Birne ein und dann? Dann säuft man zusammen.

Frank Schletter bereitet diese recht geradlinige Geschichte in Dutzenden Szenen zügig auf. Da mehr Text den Vorgängen wohl eher geschadet als geholfen hätte, besinnt sich das Spiel, nur gut, auf verknappende gestisch parodierende Zeichnung. Raschid D. Sidgi ist hier Primus inter Pares und bedient souverän die geforderten Register. Doch auch das wird letztlich zum Problem: Der Witz des Abends entfaltet sich nicht am Gang der Figuren durch ihr Elend, sondern hängt am komischen Wohl und Wehe jeder einzelnen Szene. Ob er das im Ganzen eher lustig findet, muss der Zuschauer mit sich selbst ausmachen.

Stefan Kanis
(Leipziger Volkszeitung, März 2010)

www.theaterpack.com

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