Welttheater auf dem Hinterhof

„Wie es euch gefällt“ – Ein Shakespeareworkshop auf der Sommerbühne des Westwerks.

Ein gutes Programmheft ist schon mal die halbe Miete. Da gibt es für das „Theater Eumeniden“ auch gleich Bonuspunkte. Szenenfolge, Kostümzeichnungen und Schlagwortübersetzung aus dem Englischen. Was leider fehlt, ist eine der berühmten Fragen an Reich-Ranicki: „Kann ich mich noch unter Menschen trauen, wenn ich die Shakespeare-Komödien nicht auseinanderhalten kann?“ Berechtigt ist die Frage allemal. Schließlich ist es nicht leicht, sich zu merken, dass die verstoßene Prinzessin in „Wie es euch gefällt“, diese Rosalinde, sich von Oberon in einen Schäfer verzaubern lässt, um endlich die Liebe ihrer vertauschten Zwillingsschwester Viola im Wald von Athen zu erringen. Oder war das doch anders?

Nun gibt es zum Glück noch Sprache auf dem Theater. Die Leute auf der Bühne reden sich mit Namen an, und nach einer guten halben Stunde hat man sich normalerweise eingefuchst. Und dann bekommt man mit: Natürlich sucht Rosalind nicht die homoerotische Nähe ihrer Schwester – es gibt nur eine beste Freundin Celia – sondern die Gunst eines anderen Mannes, Orlando mit Namen. Die Liebe kann aber nicht erblühen, denn Rosalind wird aus Gründen, die hier darzustellen, der Platz fehlt, des Hofes verwiesen. Sie zieht fort ­– tatsächlich in einen Wald, und zwar in den Ardenner, nicht in den bei Athen – der liegt im „Sommernachtstraum“. Kurz darauf verscherzt es sich auch ihr späterer Gatte, Orlando, mit dem Regenten und er zieht ebenfalls – erraten – in der Ardenner Wald. Dazu kommt ein gutes Dutzend weiterer Figuren mit ähnlichen Problemen. Und das sieht in den anderen Komödien nicht besser aus.

Es ist ganz klar: Bei Shakespeare zählt nicht der Plot, sondern die Dialoge. Und die sind – salopp gesagt – blanker Koks. Und wenn interessiert schon im Rausch, worum es im Rausch eigentlich geht. Hauptsache es ist guter Stoff.

Warum braucht es also ein Programmheft? Weil die „Eumeniden“ auf Englisch spielen.  Da wird es mit dem Eigenwert der Sprache hierzulande schwierig. Und sie spielen nicht nur mit Sprache, sondern auch mit großen und kleinen Puppen, mit Liedern, mit Objekten, mit Theater auf dem Theater – und das alles auf einer dreiteiligen Bühne. (Regie: Janna Kagerer) Eine wahrlich bunte Welt – ein kurioses Welttheater. Das klingt nun so, als überhebt sich die Truppe gründlich. Das tut sie natürlich. Weil nur Weniges davon wirklich Kontur gewinnt. Kontur, die einem verstandenen Blankvers das Wasser reichen kann. Aber die Spieler binden das Publikum doch durch den zärtlichen Ernst, den sie bei all dem walten lassen. Und im Grunde gehen sie die Sache richtig an: Ein Shakespeare will überwältigt sein. Mit pseudorealistischem Ausbreiten aller niedergeschrieben Buchstaben tut man Niemandem einen Gefallen. Im Schlussbild, wenn die Akteure mit den Schuhen der Figuren noch einmal alle Paarungsmöglichkeiten durchexerzieren, zeigt sich dann auch: Wer mit wem durchs Leben geht, ist wurscht – Hauptsache, es ist guter Stoff.

(Leipziger Volkszeitung 16.7.2010)

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