Zwischenraum des Möglichen

Drama Köln installieren für das Festival „Deutsche Geschichten“ einen verfrorenen Theaterspaziergang

Im Winter sehen viele Orte aus wie der tiefste Osten. Wenn der Stadtschnee zu krudem Eis gefriert und sich alle Stufen von Schmutzgrau über die Bürgersteige ziehen. Möglich, dass die verharschten Schneehaufen in der DDR noch ein bisschen dreckiger waren, doch die Dunkelheit tut ein Übriges. Die Performer von Drama Köln hätten sich kühleres Wetter, kränklichere Verhältnisse nicht wünschen können. Sie schicken an diesem Freitagabend ein Häuflein Aufrechter, ihr Publikum, hinaus in die Zone, raus aus der Schaubühne in den Leipziger Westen, der für die theatrale Rückeroberung der Geschichte noch einmal ohne viel Mühe den Osten macht. Ein paar Meter schwankt die Reisegruppe übers Eis, dann öffnet sich das Hier und Jetzt für einen Zwischenraum des Möglichen. Es wird der frühe Höhepunkt des Abends sein. Ein Trabant in fahlem Grün knattert über die Straße, Rufe erschallen auf der anderen Straßenseite, ein paar Menschen laufen über die Fahrbahn. Gerade so viele, dass man nicht an zufällige Passanten glauben mag, doch nicht genug für eine aufdringliche Inszenierung. Der Trabant biegt um die Ecke und entschwindet. Der Tross kommt ins Stocken, eine junge Frau steht ein paar Meter weiter weg auf dem breiten Trottoir und beginnt zu erzählen. Die Aufmerksamkeit schwenkt, man folgt der Frau ein paar Meter und plötzlich steht der Trabant vor der Gruppe auf dem Fußweg. Wie kann das sein? Das ist Magie. Der Weg zur Erkenntnis – dieser Trabant muss ein anderer sein – ist kurz aber schmerzhaft. Für ein paar Sekunden aber liegt eine grandiose Verwirrung der Zeichen in der Luft, wittert man ein subtiles Drunterunddrüber, ein aufwendiges Possenspiel mit den temps perdu.

Was folgt, ist schwächer. Die junge Frau nimmt den Besucherhaufen erzählerisch an die Hand und führt nun mit ihren Kollegen vor, was man eine wahre Geschichte nennt. Sie ist die sportbegeisterte Tochter eines ehrenwerten ABVs. Für die Zeichnung ihrer Welt reichen ein paar wenige Details, der grüne Stoffbeutel, in den die Laufschuhe gehören; die Mutter schärft ihr ein, die guten Schuhe nicht auf der Straße zu tragen. Die Kölner Truppe bewegt sich auf unsicherem Gelände, was nötigt sie eigentlich, in einer Indrustriebrache Leipzigs die Ostler zu mimen? Kristina Brons lässt diese Frage jedoch locker hinter sich; mit leichten, selbstverständlichen Tönen skizziert sie die Kecke mit dem Herzen am rechten Fleck. Sie nähert sich, über ein paar Hürden hinweg, dem aufrechten Stefan, der ein rotes Banner abgefackelt hat, weil es ihm die Partei einfach vor sein Fenster im Neubaublock gehängt hat. Er geht in den Knast, sie folgt, beide werden abgeschoben, im Westen trifft man sich wieder. Heirat, Wiedervereinigung und plötzlich steht der alte Vater vor der Tür. Das Stationendrama, Anklänge an den Kreuzweg inklusive, überrascht an keiner Stelle wirklich. Es bedient sich der Plagwitzer Hinterhöfe als possierlicher Kulissen und entzieht ihnen damit die Wirklichkeit, die sie doch in ihnen sucht. Der Auftakt, die verstörende Doppelbelichtung von heute und gestern, bleibt ein Versprechen, das noch gelegentlich aufblinkt: Immer dann, wenn sich der reale Leipziger Westen ungefragt im behaupteten Osten meldet: als Hundegebell oder schwadronierende Sonnenstudiomietze mit Handtelefon.

Stefan Kanis
(Leipziger Volkszeitung, 09.02.2010)

drama-koeln.de
www.lofft.de
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