Brecht auf dem Teller

„Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ erlebten ihre österreichische Erstaufführung

Brecht ist auf den Bühnen Österreichs nicht heimischer als in Deutschland. Seine Stücke nicht, vielleicht aber Spuren sei­ner Methode – des ‚eingreifenden Theaters‘. Im Wiener „Macbeth“ ist ebenso Platz für aktuellpolitische Repliken wie in Hellers neuestem Theaterzauber „Sein und Schein“. Leben und Kunst stehen ein wenig näher beisammen. Das Publikum gou­tiert es allemal. Beliebtestes Objekt von Spottversen und Couplets ist derzeit Herr Haider. Haider? – ist Frontmann ei­ner 15-Prozent-Partei, die endlich die Verursacher der wirt­schaftlichen Stagnation Österreichs ausgemacht hat: die Aus­länder. Und eben diesen Gedanken trachtet Haider per Volksbe­gehren zu einem völkischen zu machen. Darüber spricht in Österreich alles. So auch die Aufführung der Brecht-Parabel am Wiener Akademietheater.  Handelt sie doch vom ökonomischen Hintergrund rassistischer Ausgrenzungen. Wen wundert’s da, daß Herr Haider einsam das Programmheft ziert.

Brechts „Greulmärchen“ entstand als erster Reflex auf die faschistische Machtergreifung. Ein Staat ist wirtschaftlich am Ende. Soziale Unruhen greifen um. Ein neuer Mann muß her, der mit viel „Tünche“ die alten Widersprüche verkleistert. Der neue Mann, Herr Iberin, ist da, und er kennt den Grund und damit das Mittel. Ein Fremdkörper sitzt im Volke – die Spitzköpfe. Sie saugen den „der Scholle verwachsenen“ Rundköpfen das Mark. Nicht reich unterdrückt mehr arm sondern des Kopfes Form scheidet gut und böse. Eine Parabel, in der die Verführbarkeit der Kleinbürger zum entscheidenden Macht­mittel der Herrschenden wird. Iberin weiß: „Das Volk, nicht sehr geübt in Abstraktion, durch Not auch ungeduldig, sucht die Schuld für solchen Zusammenbruch als ein gewohntes Wesen mit Mund und Ohr und auf zwei Beinen laufend und auf der Straße jedermann begegnend.“

Das weiß der Autor und auch das Publikum – heute. Das Bekannte ist bekannt – um Brechts Worte zu glossieren – nur interessiert es niemanden. Zum Ärgernis hat die Erstauffüh­rung der „Rundköpfe“ unter der Regie des deutschen Brecht-Kenners Manfred Karge davon nichts wissen wollen. Sie verar­beitet Brecht nicht, sie präsentiert ihn. Und damit nützt sie wenig. Und selbst das Vorzeigen bleibt blaß: Anstatt den Gang der Fabel, auf den doch Brecht soviel Wert legte, klar he­rauszusezieren, trifft sich Banales mit Wichtigem in gleicher Unverbindlichkeit. Anstatt Beweggründe und Interessen der Kleinbürger in konkretes, einsehbares Verhalten und damit Spiel umzusetzen, herrscht teilweise erschreckende inszenato­rische Einfallslosigkeit. Da streiten Hausbesitzer und Laden­pächter ob nun die Mieten vom ’neuen Mann‘ gesenkt oder er­höht werden – aber man streitet nicht, man redet wie übers Wetter. Müßig ist es, dafür vielleicht eine Begründung im brechtschen Stil suchen zu wollen. Blutleere herrscht, gele­gentlich bis an die Grenze zur Peinlichkeit.

Dabei eröffnet die Inszenierung Ansätze in zwei Richtungen, die jedoch den Abend nicht prägen. Da ist das Bühnenbild von Dieter Klaß, eine Reminiszenz an die russischen Futuristen. Eine Arena mit Treppen, Laufstegen, Türen und Klappen. Ei­gentlich Spielplatz für verwirrend-dynamische Auftritte und zirzensische Elemente. In der Farbigkeit den roten Wandstoff des Zuschauerraumes fortsetzend, spielt es auf die „Tünche“ Blut an, mit der das Alte noch einmal gekittet wird. In die­sem Raum bewegt sich Missena, der mephistophelische Berater und heimlicher Steuermann des Geschehens wie eine Katze. Ur­sula Höpfner kann die stilisierte Umwelt für sich nutzen, kann mehr sagen als der Text ihr läßt, indem sie alle Kanten und Vorsprünge geschmeidig bewältigt. Dieser Kunstraum ist ein Angebot. Mit Ausnahme noch des choreographierten Auftre­tens der Iberin-Soldaten bleibt es ungenutzt.

Im Gegensatz zu diesem formalen Ansatz gewinnt die Inszenie­rung etwas an Spannung, wenn sie Konflikte zwischen ‚menschlichen‘ Interessen doch zu vermitteln versteht. Kein Zufall freilich, daß dies, wenn überhaupt, dann bei jenen Szenen geschieht, die Brecht aus dem shakespearschen Vorbild „Maß für Maß“ übernommen hat. Leidenschaften – so bleibt hier nur festzustellen – sind interessanter als Aktien. Und: Um Brecht zu inszenieren braucht es mehr Geschick als für Shakespeare. Vielmehr weiß die Aufführung nicht zu berichten. Da nützt auch der Haider auf dem Programmzettel nix.

Stefan Kanis (Freie Presse Chemnitz)

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