Erschreckter Blick in eine andere Welt

Christian Martins „Bunker“ in Leipzig uraufgeführt

Ein Bunker. Synonym für Überlebensraum auf Zeit, für ein vom Tode geborgtes Noch-Leben. Christian Martin wählt diesen Raum als Spielort seines Textes und verschmilzt gerade erst Geschichte gewordene Realitäten zu einer Draufsicht auf die Chancen einer deutschen, einer eu­ropäischen Zivilisation der Zukunft. Staatsicherheit und Rechtsradikalismus – so die Grundkonstruktion des Spiels – zwei Seiten derselben Medaille. Aus der Asche des einen Repressionssystems wächst das nächste schon hervor.

In einen stillgelegten Stasibunker flüchten sich nach einem Einbruch ein neofaschistisches Dreiergespann. Ein alter Kämpfer mit seinen jugendlichen Gefolgsmän­nern Ping und Pong. Von hier aus soll die neue Partei, das deutsche Volk mobilisiert werden. Heim ins Reich, doch vorher noch ein Gelage mit Billighuren aus Polen und Vietnam. Doch die Polizei hat den Bunker umstellt. Im Größenwahn des Kampfes bis zum Ende sprengt man die Eingänge, schließt sich selbst ein. Nun beginnt das Enthüllungsspiel der Charaktere.

Martin notiert sein Stück aus Ver­satzstücken gewalttätiger Sprache. Kommunikation redu­ziert sich auf das gröbste Raster. Schwarz oder weiß, Freund oder Feind. Dieses Muster der Reduktion, des Auffälligmachens von irreparablen Schäden im Seelenleben der Figuren ist der Versuch des vogtländischen Autors, ein Phänomen künstlerisch aufzuheben, das so weit außerhalb des eigenen Erfahrungskreises liegt. Die Ohnmacht des Dramatikers gegenüber den skizzierten Fronten von besinnungsloser Gewalt und Aggressivität ist im Text spürbar: Eigentlich keine Erklärungen ge­ben wollend, verweisen die Bruchstücke der auftauchenden Figurenbiographien doch auf das Bedingungsgefüge von liebloser, autoritärer Erziehung, schlechten Zen­suren und Absturz in die Arbeitslosigkeit. Nur ungern, so der Eindruck der Aufführung, verzichtet der Autor auf ein Erklärungsmodell – konfrontiert den Zuschauer mit Resultaten. Resultate jedoch, die nur wie eine zweite Ableitung vom eigentlichen problematischen Glutkern erscheinen, der sich doch um vieles komplexer darstellt als im reduzierten Modell des Martinschen Bunkers: Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit sind vor allem Barometer einer vielerorts empfundenen, nicht mehr abweisbaren Sinnentleerung der modernen High-Tech-Demokratien. Dem sich künstlerisch zu stel­len, ist freilich ein Unterfangen umfassendsten An­spruchs. Die Kultivierung des Adornoschen Trotzalledem bei Christian Martin – die Veränderung der Welt miß­lingt, doch es geht um die Veränderung der Welt – kann heute nicht ausreichen.

Die Inszenierung des Münchners Pierre Walter Politz folgt der verkürzten keuchenden Sprache. Latente Ge­waltbereitschaft, ein stets zum Ausbrechen bereites Aggressionspotential schaffen im Leipziger Kellerthea­ter ein streckenweise recht kräftiges Bild von der Auswegslosigkeit der politisch und menschlich Isolier­ten. Guido Lambrecht als West-Nazi Ping und Andreas Rehschuh als sein östliches Pendant Pong, vermögen sich der zu Kürzeln geronnen Sprache am sinnfälligsten zu bedienen. Politz flankiert diese Rumpfkommunikation mit einem ebensolchen Spiel: Geschehen wird nur ange­rissen, Handlungen nur in ihrem nüchternen Endergebnis gezeigt, Zwischentöne, allmählich sich verdichtende und statthabende Vorgänge fallen dem sofort sich aus-lebenden Impuls zum Opfer. Zwischen der Geburt eines Gedankens und dessen Umsetzung liegt kein Moment der Besinnung. So setzt sich die Aufführung aus Schlag­lichtern zusammen; die Vorgänge aber, die sie beleuch­ten sind zu simpel, zu nahe dem bedrückenden Alltag, als daß sie ein unverzichtbares künstlerisches Eigenleben entfalten könnten. Dies wiederum ist nur zu ver­ständlich: Die für die Sinnkonstruktion verantwort­lichen Institutionen – zu denen das Theater an erster Stelle gehört – haben keinen Zugang zur Welt der Fi­xer, Schläger und Unterprivilegierten. So ist auch die Uraufführung von „Bunker“ ein bemühter, aber wohl wie­derum gescheiterter Versuch, verstehen zu wollen.

Stefan Kanis (Freie Presse Chemnitz, Juni 1992)

„Bunker – Ein Spiel“ von Christian Martin | Regie: Pierre Walter Politz | Bühne: Dorothea Mahr | Mit Guido Lambrecht und Andreas Rehschuh | Premiere: 6.6.1992 | Kellertheater Leipzig (Schauspiel Leipzig)

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