Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz: „Die Stadt der Frauen“ von Federico Fellini (Regie Frank Castorf, Ausstattung Bert Neumann)
Das Portal der Volksbühne zeigt die rot bespannten Wände eines Kinos. Hinter dem samtenen Bühnenvorhang müßte die Leinwand liegen. Auf der Vorbühne finden sich auch ein paar Sitzreihen, versenkt um einen knappen Meter. Klappsitze. Ein Kino eben. Nur liegen sie quer zu Publikum und Bühne. Wer sich auf diesen Sesseln niederläßt, schaut in die Wandbespannung. Eine prinzipielle Verkanntung bestimmt von vornherein das Geschehen.
Eine Wasserstoffblonde stöckelt herein und nimmt ohne weitere Überlegung auf einem Sessel der ersten Reihe Platz. Ein paar Sekunden vergehen. Marcello Snaporaz alias Henry Hübchen verirrt sich in dieselbe Vorstellung. Er trägt natürlich Sonnenbrille – das macht, daß er auf seiner Eintrittskarte Reihe und Platznummer nicht erkennen kann. Er tauscht die dunklen Gläser gegen gewöhnliche aus. Ein zweiter Versuch der Entzifferung – erfolglos, die Augen sind doch schon zu schlecht. Er angelt eine Lesebrille aus dem Sakko, bugsiert sie auf die Nase. Nach umfänglich-umständlichem Suchen gelangt er vor dem Sitz der Wasserstoffblonden an. Sie sitzt auf seinem Platz! Stille Verzweiflung und schließlich die Bitte; doch seinen Sessel freizugeben. Die Dame blickt entrüstet in den leeren Saal und stöckelt nach hinten. Diese Eingangsetüde bildet den Höhepunkt an dramatischer Spannung innerhalb der Inszenierung. Nun folgen, man möchte es nicht glauben, zweieinhalb Stunden lang spannungslose Tableaus. Um keine Mißverständnisse über den Begriff der Spannung zuzulassen: Spannung wird hier von Castorf nicht absichtsvoll derangiert oder ironisch umgangen, sondern schlichtweg ersetzt durch die mäßig schiefe Ebene eines einförmigen Verlaufs.
Das Drehbuch Fellinis weist vier zentrale Schauplätze aus. Den Kongreß der Feministinnen, die Villa Katazones, die Traumrutsche und schließlich das feministische Theater. In einer Kette assoziativer Sequenzen arbeitet sich Fellinis Film durch diese Schauplätze; eine Traumkonstruktion, wie die Rahmenhandlung deutlich macht. Dem Problem des Träumenden jedoch, daß für ihn und nur für ihn die irrwitzigen Konstellationen des Traumes Realitätscharakter besitzen, versucht schon Fellini durch den Rückgriff auf überindividuelle Ästhetisierung und Typisierung gegenzusteuern. Castorf macht sich um die Anbindung seiner Traumbilder ans Publikum keine Sorgen, er läßt die Dinge, gewissermaßen traumähnlich, so sein, wie sie sein wollen. Nur leider schläft das Publikum noch nicht. Es spannt auf dramatische Situationen oder deren bewußte Negation. Nichts dergleichen passiert. Auf der leicht schiefen Ebene des Verlaufs rutscht eine Gegebenheit in die nächste. Freilich ziert dieses gemächliche Voran die eine oder andere Schikane als Gelegenheit für die eine oder andere inszenatorische Arabeske. Hübchen reitet auf einem Pferd ein, das deutlich zu Erkennen gibt, daß es sexuelle Absichten hegt. Zum Beispiel.
So blendet nach dem Vorspiel im leeren Kino die Inszenierung hinüber zu dem, was bei Fellini als Kongreß der Feministinnen den ersten zentralen Schauplatz der Handlung bildet. Dazu öffnet sich in der Volksbühne der Bühnenvorhang, um den Blick auf einen wenige Meter dahinter liegenden zweiten, glitzernden freizugeben. Die Fronde der versammelten Feministinnen spielen Sophie Rois, Astrid Meyerfeldt, Kathrin Angerer. Nun wird inszenierungspraktisch eingeführt, was den Rest des Abends prägt: Die Ausdruckskraft der Darstellerinnen soll den aus dem Filmmanuskript extrahierten Textsequenzen Präsenz verleihen, wobei sie weder Gelegenheit haben, eine Situation, aus der sie heraus ihre Texte sprechen, zu erspielen, noch sie zu parodieren. Es gibt keine Situation, und Castorf will auch keine schaffen. Die drei Frauen durchzirkeln die Sparten des femininen Denkens von Penetrationsverweigerung bis Biokost – die Galerie ist selbstverständlich dankbar für alles, woraus man einen Witz machen kann. Wenn sie streichholzzündelnd mit dem „männlichen” Feuerspielen, kommt Hübchen sofort mit dem Naßlöscher und verhindert schlimmeres.
Da sich die Dinge in dieser Weise fortsetzen, allmählich jedoch die belanglosen aber doch zumindest heiteren Brechungen der weiblichen Entäußerungen ausbleiben, entsteht in der Entwicklung des Abends ein problematischer, geistloser Effekt: Film und Drehbuch Fellinis beschreiten einen schmalen Grat. In der Darstellung seiner Obsessionen breitet der Italiener ein Panorama und ein Verhältnis zur Weiblichkeit aus, in dem die tiefe Differenz zum konsequenten Feminismus einen Ton unter anderen bildet. Ohne Frage ist der Tonfall, in dem Fellini die Eigenheiten und Abwehrreaktionen der Frauen präsentiert, gelegentlich ironisch, nie zynisch. Castorfs Frauen dagegen sind durchweg Hascherln, speziell die Feministinnen schöne Frauen in freizügigen Textilien, die absonderliche Wünsche äußern. „Selbstverständlich” ist auch das restliche weibliche Personal in die vielfältigsten schrägen Umhüllungen gekleidet. Enge Blusen, die von künstlichen Brüsten gesprengt zu werden drohen, „Gib mir Tiernamen“-Kostüme usw. usf. Aufgeschlossen, alle diese Zeichen als Kunstmittel deuten, nicht als Denunziation verstehen zu wollen, schaut man in die Szene. Je länger man hineinschaut, Zeit hat man wie immer genügend, wird man gewahr, wie sich jeder doppelte Boden, jedes künstlerische Ansinnen verflüchtigt, ja gar nicht erst einstellen will. Die Karikaturen von Frauen sind mit jeder Bühnenminute zunehmend nichts anderes mehr als Karikaturen von Frauen. Das platziert im gesamten Abend einen tendenziösen Charakter, den nicht nur Feministinnen als langweilend, wenn nicht sexistisch erkennen dürften.
Es wird keine konzeptionelle Absicht deutlich, in der diese genüßlich-geistlose Zurschaustellung eines weiblichen „Macken-Programms” einen anderen Sinn bekäme, als zu sagen: Frauen haben eben Macken. Dieser Eindruck verfestigt sich auch aus einem weiteren simplen Grunde. Die Männer kommen im Bilderreigen beileibe nicht so schlecht weg wie die Frauen. Immer noch besser für sie, überhaupt nicht wegzukommen, wie Günter Zschäckel als faschistoider Macho Katazone. Seine Figur ist reduziert auf etwas stammelndes Geplapper. Wer Fellinis Film nicht kennt, dem wird ob der Konturenlosigkeit der Bühnenfigur jede Stellungnahme zu diesem „etwas“ unmöglich. Sie ist im Vergleich zu den Frauen selbst zu blaß, um sich zu denunzieren. In den Szenen in der Villa Katazone gipfelt – treffender: kommt zum völligen Erliegen – was über der gesamten Inszenierung waltet: eine Strategie des ersten Einfalls, gepaart mit einer simplen Mechanik des besinnungslosen (Gedacht)-Gesagt-Getan. Hier ist es allenfalls Henry Hübchen, dem es gelingt, zwischen dem aktuellen Augenblick und dem nun einmal notwendigen Weitergang des Geschehens eine Grimasse der seelischen Nötigung, die einen Zusammenhang ahnen läßt, eine psychologische Motivation wenigstens parodiert, einzuschieben. Keine Frage, daß er dies exzellent und mit höchstem körperlichen Einsatz tut. Dafür gilt ihm aller Dank.
Diese Stellprobenatmosphäre wird durch Darstellungswillen weiter angereichert, wenn Cornelia Schmaus als Snaporaz‚ enervierte Gattin Elena die Szene betritt. Sie läßt im Zusammenspiel mit Hübchen ahnen, was unter anderem eine Möglichkeit für den Abend hätte sein können: Die Umwertung und „Realisierung” der Fellinischen Blumigkeit in katastrophisch zugespitzten Einzelszenen. Und zwar auf eine Weise, daß es das Publikum schauert vor der Differenz der Geschlechter oder es, besser noch, Lachen macht. Da dies leider nicht eintritt, spielt Hübchen ohne Grund und Echo eine Belästigung, eine Gefahr, die es für ihn in der Stadt der Frauen der Volksbühne schlichtweg nicht gibt. Dank trotzdem, daß er sich Mühe gegeben hat; ohne ihn wäre der Abend eine Katastrophe.
Stefan Kanis (Theater der Zeit 11/1995)